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PIPER Reader Herbst 2024

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57<br />

M AT THI A S LOHR E<br />

INTERVIEW<br />

eine tiefe Krise gestürzt. Dann verfiel er auf die Idee,<br />

die Geschichte seiner Familie zum Roman zu formen.<br />

Damit fand er seine Bestimmung. Die Buddenbrooks<br />

haben Thomas Mann das Leben gerettet.<br />

Dein Roman beginnt mit einem Ausblick ins<br />

Jahr 1953. Der 77-jährige Thomas Mann reist<br />

noch einmal nach Italien. Was er da bekennt,<br />

scheint einem seiner Romane zu entstammen.<br />

Es ist schier unglaublich.<br />

Und doch deutet alles darauf hin, dass es so gewesen<br />

ist. Dem in Rom lebenden Künstler Fabius von Gugel<br />

erzählte er, als jungem Mann sei ihm im nahen<br />

Bergstädtchen Palestrina der Teufel erschienen. Das<br />

sagt ausgerechnet er: dieses sonst so kühle, ja kalt<br />

auftretende Meister der Selbsttarnung! Dem Augenzeugenbericht<br />

zufolge berichtete Mann vom Geschehen<br />

ganz ähnlich, wie er es wenige Jahre zuvor<br />

im »Doktor Faustus« geschildert hat. Da erinnert ja<br />

der Teufel den Komponisten Adrian Leverkühn daran,<br />

dass sie beide im Bunde seien: Leverkühn darf<br />

geniale Werke erschaffen und muss dafür mit seiner<br />

Seele bezahlen. Niemanden darf er lieben. Die Szene<br />

spielt sogar in eben jener Herberge in Palestrina, in<br />

der Thomas mit seinem Bruder einst gewohnt hatte.<br />

Peter de Mendelssohn, der Thomas Mann und Fabius<br />

von Gugel persönlich kannte, nahm die Geschichte<br />

in seine Mann-Biografie auf. Er fand sie offenbar<br />

glaubwürdig.<br />

Und du?<br />

Je mehr ich von und über Thomas Mann gelesen habe,<br />

desto schlüssiger erscheint sie mir. Denn Thomas<br />

Mann hat immer wieder bekannt, er erfinde seine<br />

Geschichten nie, sondern finde sie. Nahezu alles in<br />

seinen Werken gründet in selbst Erlebtem: im Erstlingsroman<br />

über eine norddeutsche Kaufmannssippe<br />

natürlich, aber auch im »Tod in Venedig«. Der Novelle<br />

ging ein Besuch der Lagunenstadt voraus – übrigens<br />

mit Heinrich. Sein Leben lang hat er es verstanden,<br />

Heinrich<br />

Heinrich ist ein Rebell. Der älteste Sohn<br />

einer angesehen Kaufmannsdynastie hat<br />

früh klar gemacht, dass er die hundertjährige<br />

Firma der Familie nicht übernehmen<br />

will. Der 25-Jährige hat bereits einen Roman<br />

veröffentlicht und lebt nach Stationen<br />

in Dresden und Berlin seinen Traum: Er ist<br />

freier Schriftsteller in Rom. Wäre da nur<br />

nicht die lästige Arbeit für ein reaktionäres<br />

Blatt, die ihm Zeit fürs literarische Schreiben<br />

raubt. In seinen Werken dreht sich<br />

alles um Frauen: Mal sind sie Opfer von<br />

Männern, mal Verführerinnen, immer aber<br />

Projektionen männlicher Begierden und<br />

Ängste. Dann begegnet ihm Lina.

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