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PIPER Reader Herbst 2024

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HENDRIK STREECK<br />

INTERVIEW<br />

auf uns zukommen lassen und abgewartet. So sind<br />

Wochen vergangen, dabei hätten wir uns längst schon<br />

vorbereiten und wichtige Dinge beschaffen können:<br />

Schutzkleidung, Masken, Pipettenspitzen, Enzyme,<br />

Beatmungsgeräte und, und, und.<br />

In den Folgewochen und -monaten wurden<br />

verschiedene Strategien diskutiert, um das<br />

Virus in Schach zu halten, darunter die No-<br />

COVID-Strategie oder auch die Zero-COVID-<br />

Strategie. Wären wir erfolgreich gewesen,<br />

wenn wir nur konsequenter in den Maßnahmen<br />

gewesen wären?<br />

Das Konzept von No-COVID oder Zero-COVID sieht<br />

ja vor, dass man versucht, jede Infektion zu verhindern.<br />

Das ist zunächst natürlich ein nobler Ansatz, aber praktisch<br />

unmöglich umzusetzen, wie man deutlich an China<br />

gesehen hat, wo man es versucht hat. Das Vorgehen<br />

war zum Teil unmenschlich, würdelos und aus der Zeit<br />

gefallen. Bei diesen ganzen Überlegungen und Machbarkeitsdiskussionen<br />

hat man andere wichtige Belange<br />

der Menschen ausgeklammert. Wir haben manchmal<br />

den Schutz vor einer Infektion über alles andere gestellt.<br />

Was meinen Sie damit?<br />

Wolfang Schäuble hat 2020 etwas sehr Wichtiges gesagt:<br />

»Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz<br />

von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das<br />

ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte<br />

beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt<br />

einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt,<br />

dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar.<br />

Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben<br />

müssen.« Damit beschreibt er genau den Balanceakt,<br />

dem wir damals nicht immer gerecht geworden sind<br />

und den ich in meinem Buch versuche, differenziert<br />

darzulegen: Wann sollte der Infektionsschutz Priorität<br />

haben und wann sollten womöglich andere Werte<br />

oder Rechte in den Vordergrund rücken?<br />

Prof. Dr. med. Hendrik Streeck<br />

ist der Direktor des Instituts für<br />

Virologie am Universitätsklinikum<br />

Bonn. Er begann seine medizinische<br />

Laufbahn an der Charité<br />

in Berlin und promovierte an<br />

der Friedrich-Wilhelms-Universität<br />

Bonn. Von 2006 bis 2009<br />

absolvierte er ein Postdoctoral<br />

Fellowship an der Harvard Medical<br />

School. Er war u. a. Assistenzprofessor<br />

am Ragon Institute of<br />

Massachusetts General Hospital,<br />

Massachusetts Institute of Technology<br />

und an der Harvard Medical<br />

School, sowie Leiter der Abteilung<br />

für zelluläre Immunologie am US<br />

Military HIV Research Program.<br />

2015 folgte Streeck dem Ruf nach<br />

Essen, wo er das Institut für HIV-<br />

Forschung gründete. Er ist Mitglied<br />

der europäischen Akademie der<br />

Wissenschaft und Künste, sowie<br />

Kuratoriumsvorsitzender der deutschen<br />

AIDS-Stiftung. Er war Mitglied<br />

im Corona-Expertenrat des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen sowie<br />

der Bundesregierung. Derzeit<br />

ist er Mitglied der Enquete-Kommission<br />

NRW zum Krisenmanagement<br />

sowie des Expertenrats der<br />

Bundesregierung zu Gesundheit<br />

und gesellschaftlicher Resilienz.<br />

Hätten Sie sich aus diesem Grund gewünscht,<br />

dass noch mehr Wissenschaftler und Experten<br />

aus anderen Fachgebieten in die Beratungen<br />

der Regierung einbezogen werden?

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