18.04.2024 Aufrufe

PIPER Reader Herbst 2024

  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

116<br />

AURELIA HÖLZER<br />

LESEPROBE<br />

Wir checken nochmal den Wind – leichter Südwestwind<br />

– und das neueste Satellitenbild: Ein kilometerlanger<br />

Eisberg hat sich aus dem Eis im Nordosten<br />

der Bucht verabschiedet und zieht nördlich der Bucht<br />

vorbei Richtung Nordanleger. Ich rufe kurz beim Alfred-Wegener-Institut<br />

in Bremerhaven an, ob wir bei<br />

leichtem Südwind trotz des losgelösten Eisbergs fahren<br />

können. Bei starkem Südwind bestünde rein theoretisch<br />

die Gefahr, dass das Eis, falls es in Schollen<br />

aufbricht, aus der Bucht aufs Meer hinausgetrieben<br />

wird. »Keine Sorge, ihr könnt fahren«, ist die Antwort.<br />

Das deckt sich auch mit meiner und Markus‘<br />

Einschätzung. Trotzdem bin ich froh um die Möglichkeit,<br />

Rücksprache zu halten, ich verantworte das<br />

Ganze ja zum ersten Mal. »Better safe than sailing the<br />

Southern Ocean on an Eisscholle« lautet die Devise.<br />

(…)<br />

Erst als der Wind ein wenig abflaut, kommen wir los.<br />

Es ist bereits mittlerer Vormittag. Obwohl wir am<br />

Vorabend alles bereitgelegt haben, dauert das Anziehen<br />

der multiplen Schichten von Kleidungsstücken,<br />

Buffs, Mützen, Socken, Fell-Innenschuhen, Stiefeln<br />

und dergleichen eine Viertelstunde. Schlagartig ist<br />

mir unerträglich heiß in dem ganzen Zeug, ich glühe<br />

regelrecht. Ab in die Garage, bevor ich mich nassschwitze,<br />

da ist es wenigstens kalt. Wie Presswürste<br />

» WIR HALTEN NOCHMAL<br />

FÜR EINEN LETZTEN<br />

CHECK. ALLE DAUMEN<br />

HOCH, LOS GEHT’S.<br />

»<br />

sehen wir aus, können uns kaum bücken, um die Stiefel<br />

zu schnüren. Die Schlitten sind schon seit gestern<br />

fertig beladen, die Werkzeuge verzurrt, jetzt laufen<br />

die Skidoos in der Tiefgarage warm. Karsten hat für<br />

diese Zeit die U2-Brandmeldeanlage für uns ausgeschaltet.<br />

Wir sind aufgeregt, das merkt man. Einer<br />

vergisst fast, in der Garderobe eine Hose anzuziehen,<br />

der nächste lässt erst Daunenjacke, dann Funkgerät<br />

liegen und muss zweimal wieder hochlaufen, der dritte<br />

fällt im Dunklen über die Skidookufen und schlägt<br />

der Länge nach hin. Endlich sind wir fertig. Markus<br />

hat einen verdammt guten Draht zum Wettergott:<br />

perfektes Wetterfenster und beinahe Windstille.<br />

Wir fahren die Rampe hoch und aus der Garage hinaus<br />

in eine dramatische späte Morgendämmerung.<br />

Erstes Tageslicht leuchtet flammend über dem nördlichen<br />

Horizont. Wir halten nochmal für einen letzten<br />

Check. Alle Daumen hoch, los geht’s. Markus fährt<br />

voraus, ich lenke den mittleren Skidoo mit Hannes<br />

hinten drauf, der Micha auf dem hintersten Skidoo<br />

auf dem Schirm behält. Wir fahren in den stillen, eisklaren<br />

Morgen hinein zügig die zehn Kilometer bis<br />

zur Meereisrampe. Dann fahren wir diese hinunter<br />

und sind zum ersten Mal auf der zugefrorenen Bucht<br />

unterwegs. Wow. Der besseren Übersicht halber fahren<br />

wir langsam und im Stehen, folgen dem GPS und<br />

unserer Orientierung nach Nordosten.<br />

Das Meereis und seine Schneeauflage sind hier glatt<br />

wie ein Babypopo, bequemer zu fahren als jede Trasse.<br />

Der Skidoo mit der<br />

Nummer Sieben und<br />

dem roten Kreuz vorn<br />

drauf ist das Gefährt<br />

der Ärztin oder des<br />

Arzts.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!