PIPER Reader Herbst 2024
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76<br />
GENEVIEVE KINGSTON<br />
LESEPROBE<br />
und kniete mich neben sie. Ich zog die Schnappverschlüsse<br />
einen nach dem anderen zurück, zögerte den<br />
Moment hinaus. Als ich den Deckel hob, sah ich als<br />
erstes ein großes schwarzes spiralgebundenes Notizbuch<br />
mit zwei roten Birnen auf dem Einband. Mein<br />
Atem beschleunigte sich, als ich es herauszog und die<br />
erste Seite aufschlug.<br />
Liebste Gwenny,<br />
eine Auflistung der beigefügt en<br />
Briefe und aufbewahrt en Andenken,<br />
um bedeut same E reignisse im Leben<br />
zu würdigen und zu feiern. Ich<br />
habe diese Liste für dich gemacht,<br />
nur für den Fall, dass etwas mit<br />
den Briefen oder E rinnerung s-<br />
stücken selbst passiert. Den Stift,<br />
mit dem ich sie geschrieben habe,<br />
schenke ich dir auch, und hoffe,<br />
dass du Freude daran hast.<br />
Puzzle angeordnet. Innen an dem gewölbten Deckel<br />
klebte ein dünnes Blatt Millimeterpapier, auf dem<br />
der gesamte Inhalt der Truhe systematisch aufgelistet<br />
war. Ich ließ meinen Finger die Liste entlanggleiten.<br />
Auf Geburtstage folgten Abschlüsse, darauf Heirat<br />
und Kinder. Neben jedem Punkt zeigte ein Häkchen,<br />
dass er vorhanden war – abgehakt.<br />
Ich durchsuchte die oberste Schicht der Päckchen, bis<br />
ich das mit der Aufschrift »Gwennys zwölfter Geburtstag«<br />
fand. Es war ein Pappkästchen mit einem<br />
Muster aus Muscheln und einem rosa Kringelband.<br />
Als ich es in der Hand hielt, fühlte ich plötzlich den<br />
ersten stechenden Schmerz der Neugier: Ich wollte<br />
sehen, was meine Mutter für mich ausgesucht hatte.<br />
Ich löste das Band und öffnete das Kästchen.<br />
Darin fand ich einen kleinen Messingring in der<br />
Form einer Blume mit einem winzigen Amethyst in<br />
der Mitte. Der Amethyst war unser Geburtsstein.<br />
Auf der Rückseite der Karte stand: »Herzlichen<br />
Glückwunsch, mein Schatz! Seite 8«, und ich blätterte<br />
durch die cremeweißen Seiten des Notizbuchs.<br />
Unten auf Seite acht war ein Foto des Rings, und darüber<br />
hatte meine Mutter ein paar Sätze geschrieben.<br />
In Liebe, Mommy<br />
An dem Spiralbuch war mit einer Klammer ein grüngoldener<br />
Füllfederhalter befestigt – einer von denen,<br />
die mit flüssiger Tinte schreiben. Ich zog ihn heraus<br />
und fühlte sein erstaunliches Gewicht in der Hand.<br />
Tränen ließen die Worte vor mir verschwimmen.<br />
Meine Mutter hatte mir das Notizbuch Jahre zuvor<br />
gezeigt, und ich hatte es, genauso wie die Truhe, in<br />
meinem Kopf ganz nach hinten geschoben – wie ein<br />
Werkzeug, das ich gar nicht lernen wollte, zu benutzen.<br />
Ich maß seine Dicke mit den Fingern ab und<br />
drückte es an meine Brust, hungrig nach den Worten,<br />
die es in seinem Inneren bereithielt.<br />
Unter dem Notizbuch reichte der Inhalt der Box beinahe<br />
bis zum Rand. Päckchen in verschiedenen Formen<br />
und Größen waren wie in einem dreidimensionalen