PIPER Reader Herbst 2024
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112<br />
AURELIA HÖLZER<br />
LESEPROBE<br />
» JETZT BIN ICH HIER,<br />
IN DIESER ENDLOSEN<br />
WEISSEN WEITE VON<br />
SURREALER, INTENSIVER<br />
SCHÖNHEIT. WILLKOM-<br />
MEN AN NEUMAYER,<br />
ANTARKTIKA.<br />
»<br />
Ein Jahr lang<br />
gemeinsam durch<br />
dick und dünn: das<br />
Überwinterungsteam<br />
vor seinem Zuhause<br />
Wir schauen uns wieder und wieder um. Einfach<br />
nicht zu fassen! Es fühlt sich an, als hätte jemand die<br />
Stopptaste der Welt gedrückt. Als hätte alles angehalten,<br />
vielleicht sogar aufgehört zu existieren – bis<br />
auf meine eigene kleine Existenz, die in diesem überwältigend<br />
präsenten Nichts weiter vor sich hin dudelt<br />
wie ein übriggebliebenes Radio, unpassend, fehl am<br />
Platz. Ich bin unfähig, alles einzuordnen, stehe neben<br />
mir, überfordert von diesem überwältigenden Ort,<br />
erschöpft auch von schlafarmen Nächten auf dem<br />
Schiff und einem Marathon emotionaler Abschiede.<br />
So gebe ich den Widerstand auf und nehme meinen<br />
seltsamen Zustand einfach hin.<br />
Jetzt bin ich hier, in dieser endlosen weißen Weite<br />
von surrealer, intensiver Schönheit – vollgestellt mit<br />
Technik. Willkommen an Neumayer, Antarktika.<br />
Ein Jahr liegt vor mir, an diesem unwirklichen, eigenartigen<br />
Ort. Eine Überwinterung in totaler Abgeschiedenheit<br />
ohne die Möglichkeit, zu evakuieren oder<br />
abzubrechen, alleine hiergelassen mit meinem Team.<br />
Es erscheint mir jetzt unglaublich. Ich kenne Eis<br />
und Schnee und Einsamkeit, doch dies ist völlig<br />
anders. Bei aller Begeisterung fühlt es sich nicht<br />
an wie ein Platz, an dem man zu Hause sein kann,<br />
es mutet so fremd an, so außerirdisch. Trotz umfassender<br />
Vorbereitung trifft mich die Antarktis<br />
völlig unerwartet. Nie gefühlt, nie gesehen, alles<br />
unbegreiflich.<br />
Der Himmel geht auf<br />
Nach einem vier Wochen andauernden Sturm und<br />
einem Leben in brausender Schwärze und schneesturmblindem<br />
Milchigweiß reißt plötzlich der Himmel<br />
auf. Wir sehen wieder etwas, wenn wir aus dem<br />
Fenster schauen. Markus, der gerade von der Wetterbeobachtung<br />
hereinkommt, empfiehlt mir mit<br />
leuchtenden Augen, aufs Dach zu gehen: dort sei der<br />
Mond zu sehen! Schnell steige ich in den Polaranzug<br />
und trete aufs Dach hinaus. Vor mir erstreckt sich die