PIPER Reader Herbst 2024
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CLARA MARIA BAGUS<br />
INTERVIEW<br />
INTERVIEW<br />
geführt von Martina Vogl<br />
Im Alter von acht Jahren hast Du bereits Deine<br />
ersten Geschichten für Zeitungen geschrieben.<br />
Später hast Du Psychologie studiert und warst<br />
einige Zeit in der Hirnforschung tätig. Wie und<br />
warum hat es Dich zum Schreiben zurückgeführt?<br />
Merkwürdigerweise habe ich schon als Kind mehr in<br />
meinem Kopf gelebt als in meiner Umgebung. Mit<br />
Vielem in der Welt da draußen kam ich nicht zurecht<br />
und habe mir schließlich eine eigene Welt voller Geschichten<br />
geschaffen.<br />
Letztlich ist es die Sehnsucht nach Stille, die mich beim<br />
Schreiben antreibt. Ich halte diese heutige laute Welt, in<br />
der man schreien muss, um sich verständlich zu machen,<br />
nur schwer aus. Mir ist das oft zu viel. Ich habe lange<br />
gebraucht, um zu lernen, dass es auch für Menschen wie<br />
mich einen Platz gibt. Meiner ist in der Literatur.<br />
Auch dieser neue Roman von Dir hat unglaublich<br />
schöne Szenen, Sätze, die man sofort<br />
aufschreiben möchte, Bilder, die einen lange<br />
begleiten. Wie gelangen diese Wörter aufs<br />
Papier? Wie kommst Du auf die Ideen für<br />
deine Bücher?<br />
Ich bin eine Sammlerin von Augenblicken. Wie ein<br />
Kind seine Spielsachen am Abend mit ins Bett nimmt,<br />
nehme ich die Bruchstücke des Tages mit und füge die<br />
Augenblicke zu einer Geschichte zusammen. Und diese<br />
Geschichte spinnt sich dann in meinem Kopf weiter.<br />
An jedem einzelnen Satz schleife ich ewig, bis er<br />
Dinge auf eine ganz neue, ungewohnte Art ausdrückt.<br />
Was bedeutet Schreiben für Dich? Ist es so<br />
romantisch, wie viele es sich vorstellen?<br />
Schreiben ist harte Arbeit. Es bedeutet Disziplin,<br />
Disziplin, Disziplin. Manchmal schreibe ich tagelang,<br />
nur um alles eine Woche später wieder zu löschen.<br />
Am Schreibtisch zu sitzen und sich alldem zu stellen,<br />
all diesen Realitäten und Schicksalen, ist anstrengend.<br />
Nach einem abgeschlossenen Kapitel bin ich<br />
immer ganz erschöpft, als hätte ich die Szene selbst<br />
in der Haut meiner Figuren miterlebt. Aber ich denke,<br />
das ist das, was auch die Leser:innen spüren und<br />
was letztendlich berührt.<br />
Du scheust in deinen Romanen nicht vor<br />
schmerzlichen Themen zurück. Dennoch sind<br />
Deine Bücher voller Hoffnung. Warum widmest<br />
Du Dich diesen schweren Themen?<br />
Mich interessieren die Menschen am Rand. Jene, die<br />
kämpfen müssen. Nicht die Menschen aus der Glitzerwelt,<br />
die in Superlativen leben, die im Rampenlicht<br />
stehen. Vermutlich ist das meiner Herkunft geschuldet,<br />
die auch keine Schachtel Pralinen war. Ich<br />
komme aus einer einfachen Arbeiterfamilie und habe<br />
die Grenzen, die diese Herkunft mit sich bringt, überall<br />
gespürt. Um Zugang zu einer anderen Welt zu bekommen,<br />
zu einer, die voller Möglichkeiten ist, muss<br />
man kämpfen und hart arbeiten. Und dann braucht<br />
man noch diesen Funken Glück, den Zünder, der es<br />
einem letztendlich ermöglicht, aus einer Welt hinauszutreten<br />
und eine andere zu betreten. Tatsächlich ist<br />
es ja so, dass randständige Menschen Grenzgänger<br />
sind. Menschen, die am Rand stehen, müssen kämpfen.<br />
Nicht selten werden sie dann auch fähig, Grenzen<br />
zu erweitern und zu überschreiten. Ich bin davon<br />
überzeugt, dass die wahren Helden und die grossen<br />
Leistungen auf der Schattenseite des Lebens zu finden<br />
sind. Dort, wo man die Grenzen spürt. Solche<br />
Lebensgeschichten finde ich spannend. Ich möchte in<br />
die Tiefe schauen und in die Weite: in die Tiefe und<br />
Weite meiner selbst und meiner Figuren.<br />
Was sind für Dich schicksalsschwere Momente<br />
im Leben, die alles verändern können?<br />
Es sind die Momente, die unsere Welt in Stücke brechen.<br />
Die uns von allem Vergangenen lösen und in