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PIPER Reader Herbst 2024

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15<br />

CHARLOTTE INDEN<br />

GESPRÄCH<br />

»ICH KANN NICHT OHNE LACHEN«<br />

Die Autorin im Gespräch mit Verlegerin<br />

Felicitas von Lovenberg und Lektorin Martina Vogl<br />

FvL: Charlotte, wir führen dieses Gespräch in<br />

der Vorweihnachtszeit (mit Schnee vor den<br />

Fenstern). Du bist mitten im Schreiben, wo<br />

bist Du denn gerade in Gedanken und in der<br />

Geschichte?<br />

Wir sind tatsächlich auch im Winter, 1945, aber da ist<br />

es nicht so romantisch und schön, da ist es kalt, und<br />

alle haben Hunger, und ich leide beim Schreiben sehr.<br />

Bei diesem Buch so wie noch nie.<br />

FvL: Du leidest beim Schreiben?<br />

Woran liegt das?<br />

Mir war, als ich das Projekt anging, ehrlich gesagt<br />

nicht klar, was da alles auf mich zukommt. Es ist so:<br />

Wenn ich eine Szene schreibe, suche ich nach der einen<br />

Beschreibung, die vor meinem und also hoffentlich<br />

auch vor dem inneren Auge der Leserin und des<br />

Lesers ein Bild entstehen lässt. Den Rest lasse ich weg.<br />

Will ich also darüber schreiben, wie das Leben 1945<br />

in Deutschland war, muss ich gefühlt alles wissen:<br />

wie die dahingekommen sind und wie es da so ist, und<br />

beides war nicht schön.<br />

FvL: Was hat Dich am meisten mitgenommen?<br />

Ich lese Zeitzeugenberichte um Zeitzeugenberichte.<br />

Und es sind diese Erinnerungen der Menschen, die<br />

mich mitunter wirklich in Tränen ausbrechen lassen.<br />

Wenn eine Deutsche erzählt, dass sie es eben doch<br />

nicht gewagt hat, ihrem Geliebten, diesem amerikanischen<br />

Soldaten, in seine Heimat zu folgen, dass der<br />

Busch, von dem er ihr vor fünfzig Jahren eine Rose<br />

abbrach, immer noch Blüten trägt, könnte ich Rotz<br />

und Wasser heulen. Tue ich mitunter auch.<br />

Gerade geht mir eine Sache besonders nahe: Die New<br />

York Times hatte während des gesamten Krieges kein<br />

einziges Mal den Holocaust auf der Titelseite. Sie berichtete<br />

nicht vom Mord am jüdischen Volk. Dabei<br />

hatte sie einen jüdischen Verleger. Das wusste ich<br />

nicht, bis ich »Buried by the Times« von Laurel Leff<br />

gelesen habe. Einmal zitiert Leff einen Artikel, der<br />

wenige Jahre vor Kriegsende auf Seite vier der Times<br />

erschien. Ein Bericht aus dem englischen Unterhaus.<br />

Ein Brief der jüdischen Gemeinde Polens wird verlesen.<br />

Nur verlesen, nicht kommentiert. Darin heißt<br />

es etwa: »Möge dies die Stimme vom Abgrund sein.<br />

Möge die Welt uns erhören.« Aber die Welt erhörte<br />

sie nicht. Kein Aufschrei folgte. Keiner half. Das verfolgt<br />

mich.<br />

MV: Daran lässt sich die Macht der Medien<br />

ablesen. Hier negativ, dass eine Zeitung sie<br />

nicht genutzt hat. Denn dass selbst kleine<br />

Nachrichten viel bewirken können, zeigt Dein<br />

Roman. Du bist auf Deine Geschichte ja durch<br />

eine Zeitungsnachricht gestoßen – und die<br />

Heldin ist nur berühmt geworden, weil die<br />

New Yorker Zeitungen auf sie aufmerksam<br />

geworden sind.<br />

Genau. Fräulein Elisabeth aus München stand in<br />

New York am Flughafen und wartete auf ihren Verlobten.<br />

Der nicht kam. Die Zeitungen berichteten.<br />

Und Hunderte Menschen nahmen Anteil und schickten<br />

ihr Briefe.<br />

MV: Und wie kam es dazu, was denkst Du,<br />

wieso diese junge deutsche War Bride die<br />

Menschen so berührt hat? Also das reale<br />

Vorbild zu Luise?

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