PIPER Reader Herbst 2024
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HENDRIK STREECK<br />
INTERVIEW<br />
Die Pandemie ist vorbei, das Virus ist geblieben.<br />
Drei Jahre Ausnahmezustand liegen hinter uns, die geprägt waren von Ungewissheit, von<br />
sinnvollen und sinnlosen Maßnahmen, von Warnungen, Mahnungen und Überspitzungen.<br />
Wir sollten diese Zeit nicht einfach verdrängen, sondern sie aufarbeiten, aus ihr lernen<br />
und die so gewonnenen Erkenntnisse nutzen, nicht zuletzt, um uns auf zukünftige Pandemien<br />
und Krisen aller Art besser vorzubereiten.<br />
Essenziell für die richtigen Schlussfolgerungen ist eine ergebnisoffene, ehrliche, aber<br />
auch konsequente Aufarbeitung und Benennung von Fehlern und Versäumnissen. Dabei<br />
geht es nicht darum anzuklagen – es geht um Glaubwürdigkeit. Denn nur so können wir<br />
vermeintlich unversöhnliche Positionen auf dem Pfad eines offenen, diskussionsfreudigen<br />
und gar versöhnlichen Diskurses zusammenführen. Das ist nicht nur eine medizinische,<br />
sondern auch eine politische und gesamtgesellschaftliche Herausforderung.<br />
INTERVIEW<br />
Herr Streeck, der Titel Ihres Buchs lautet<br />
»Nachbeben – Die Pandemie, ihre Folgen und<br />
was wir daraus lernen können«. Warum finden<br />
Sie es persönlich wichtig, Lehren aus der<br />
Pandemie zu ziehen?<br />
Diese Pandemie war weltweit, aber auch für uns in<br />
Deutschland ein Jahrhundertereignis. Rückblickend<br />
ist es unerlässlich zu hinterfragen, ob wir angemessen<br />
reagiert haben. Was waren gute Strategien und<br />
welche Fehler haben wir gemacht? Es ist wichtig, aus<br />
dieser Analyse Lehren zu ziehen, um in zukünftigen<br />
Pandemien oder andersartigen Krisen besser agieren<br />
zu können. Während einige behaupten, wir hätten<br />
alles richtig gemacht, vertreten andere die Meinung,<br />
unsere Reaktion sei überzogen gewesen. In meinem<br />
Buch bemühe ich mich, ein ausgewogenes Bild dessen<br />
zu zeichnen, was gut verlief und worin wir besser werden<br />
könnten, um uns für die Zukunft widerstandsfähiger<br />
zu machen, ohne dabei Schuldzuweisungen<br />
vorzunehmen. Eine solche offene Analyse schulden<br />
wir insbesondere jenen, die unter den Pandemiemaßnahmen<br />
gelitten haben – sei es durch Vereinsamung,<br />
die Unmöglichkeit, Angehörige in Krankenhäusern<br />
oder Pflegeheimen zu besuchen, existenzbedrohende<br />
Lockdowns, die Schließung ihrer Betriebe oder<br />
Überforderung durch die Impfkampagne. Es ist<br />
von entscheidender Bedeutung, dass wir zukünftig<br />
sowohl Befürworter als auch Gegner der damaligen<br />
Maßnahmen einbinden. Ihnen allen gegenüber sind<br />
wir eine gründliche Aufarbeitung schuldig, um die<br />
während der Pandemie entstandene gesellschaftliche<br />
Spaltung zu überwinden.<br />
Hätten wir die Pandemie verhindern können?<br />
Mit dieser Frage hat sich das internationale, unabhängige<br />
Panel der WHO (The Independent Panel<br />
For Pandemic Prepardness & Response) vor ein paar<br />
Jahren beschäftigt und dort kam man zu einem klaren<br />
Schluss: Ja, es wäre möglich gewesen, die Coronapandemie<br />
abzuwenden. Es hätte gelingen können, wenn<br />
entschlossenes Handeln erfolgt wäre und ein effektiver<br />
Informationsaustausch zwischen den betroffenen