Zukunft der Schweizer Textilindustrie ? - ETH Zürich
Zukunft der Schweizer Textilindustrie ? - ETH Zürich
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Die Produktion von Textilien bestimmte die Wirtschaft<br />
und die soziale Entwicklung <strong>der</strong> Nordostschweiz vom<br />
Spätmittelalter bis weit ins zwanzigste Jahrhun<strong>der</strong>t. Doch<br />
nur <strong>der</strong> aufmerksame Betrachter sieht hinter <strong>der</strong> ländlichen,<br />
bäuerlichen Idylle die Spuren eines Wirtschaftszweiges,<br />
<strong>der</strong> um die Wende zum zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
im Kanton Appenzell Ausserrhoden über fünfzig Prozent<br />
<strong>der</strong> Arbeitskräfte beschäftigte. Seither verliert die Branche<br />
laufend Arbeitsplätze. Sie ist nach wie vor ein wichtiger<br />
Arbeitgeber. Sie steht aber an einer kritischen<br />
Schwelle: Der internationale Konkurrenzkampf hat sich<br />
extrem verschärft, und die Konkurrenz aus Südostasien<br />
drängt immer stärker auch in die hochaktiven Nischenmärkte,<br />
die bis anhin das Überleben <strong>der</strong> <strong>Schweizer</strong>ischen<br />
<strong>Textilindustrie</strong> ermöglichten. Tiefe Löhne, abnehmende<br />
Ausbildungsmöglichkeiten und die unsicheren <strong>Zukunft</strong>saussichten<br />
führen zu Rekrutierungsproblemen bei jungen,<br />
engagierten Fachleuten, die für eine <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> Industrie<br />
so wichtig wären. Schrumpfende Umsätze und Margen<br />
und eine zurückhaltende Kreditpolitik <strong>der</strong> Banken<br />
schmälern die Möglichkeiten, durch Investitionen den<br />
schnellen technologischen Wandel mitzumachen.<br />
Die Synthesegruppe 1 TEXTILWIRTSCHAFT <strong>der</strong> umweltnaturwissenschaftlichen<br />
Fallstudie stellte sich dieser Problematik.<br />
Natürlich waren Fragen nach <strong>der</strong> Ressourceneffizienz,<br />
einer Optimierung <strong>der</strong> zum Teil erheblichen<br />
Energie- und Stoffflüsse wichtig, doch diese wurden immer<br />
stärker mit <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> <strong>Textilindustrie</strong><br />
verknüpft. Nur wenn die <strong>Textilindustrie</strong> im regionalen<br />
Raum eine attraktive <strong>Zukunft</strong> hat, wird sie über<br />
die Ressourcen verfügen, den Wandel auch sozial und<br />
ökologisch nachhaltig gestalten zu können.<br />
Schon im Vorfeld <strong>der</strong> Fallstudie besuchte das Tutorenteam<br />
zusammen mit Professor Scholz eine repräsentative<br />
Anzahl von Betrieben, erhob betriebswirtschaftliche und<br />
energetische Kenndaten und verschaffte sich mit Interviews<br />
und Betriebsbesichtigungen einen Eindruck über<br />
den Zustand und die aktuellen Probleme <strong>der</strong> Branche.<br />
Diese Vorarbeiten ermöglichten dem Fallstudienteam einen<br />
schnellen Einstieg in die komplexe Materie. Sie arbeitete<br />
parallel auf zwei Wegen: Mit Hilfe <strong>der</strong> formativen<br />
Szenarioanalyse wurde ein Systembild <strong>der</strong> <strong>Textilindustrie</strong><br />
und ihrer Abhängigkeiten von äusseren Faktoren erstellt.<br />
Die kritischen Variablen und ihre möglichen Ausprägungen<br />
erlaubten dann verschiedene konsistente <strong>Zukunft</strong>szustände<br />
(Varianten) zu modellieren. Die an<strong>der</strong>e Gruppe er-<br />
Appenzeller <strong>Textilindustrie</strong> (Vorversion)<br />
hob im sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereich<br />
weitere Daten, die es erlaubten, Einzelmassnahmen hin zu<br />
einer nachhaltigeren <strong>Textilindustrie</strong> vorzuschlagen. In einem<br />
Syntheseschritt wurden dann die Massnahmen gebündelt<br />
und den einzelnen Varianten zugewiesen. Sowohl<br />
auf <strong>der</strong> Massnahmen- wie auch auf <strong>der</strong> Variantenebene<br />
zeigte sich schnell, dass die <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> <strong>Textilindustrie</strong><br />
wesentlich von neuen Formen <strong>der</strong> Kooperation zwischen<br />
den einzelnen Betrieben abhängig ist.<br />
Die Massnahmen und die Varianten wurden an verschiedenen<br />
Veranstaltungen mit Fachleuten <strong>der</strong> Regionalentwicklung<br />
und <strong>der</strong> <strong>Textilindustrie</strong> diskutiert und aufgrund<br />
<strong>der</strong>en Rückmeldungen bereinigt. An einer abschliessenden<br />
Diskussionsveranstaltung zeigte sich, dass die<br />
Varianten nicht sich ausschliessende Strategien darstellen,<br />
son<strong>der</strong>n Schritte hin zu immer verbindlicheren Formen<br />
<strong>der</strong> Kooperation sind. Ein möglicher Weg <strong>der</strong> <strong>Textilindustrie</strong><br />
in den nächsten zwei Jahrzehnten wurde sichtbar.<br />
Der folgende Bericht dokumentiert die Arbeit <strong>der</strong> Synthesegruppe<br />
TEXTILWIRTSCHAFT im Wesentlichen entlang<br />
des Prozesses. Auf eine Darstellung <strong>der</strong> historischen Entwicklung<br />
<strong>der</strong> <strong>Textilindustrie</strong> folgt eine aktuelle Beschreibung<br />
<strong>der</strong> Branche mit ihren Strukturen, Problemen und<br />
Abhängigkeiten. Ein Kapitel beschreibt die angewandten<br />
Methoden. Dann wird ihre Anwendung bei <strong>der</strong> Variantenentwicklung<br />
dargestellt. Die Bewertung <strong>der</strong> Varianten<br />
durch die Experten, die Entwicklung einer Umsetzungsstrategie<br />
und eine kritische Würdigung des Erreichten beschliessen<br />
den Bericht.<br />
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Das Kloster St. Gallen war mit seinen Werkstätten im<br />
Mittelalter Ausgangspunkt <strong>der</strong> Textilproduktion in <strong>der</strong><br />
Nordostschweiz. Schon bald wuchs die Leinwandproduktion<br />
über die klösterlichen Mauern hinaus, und um 1500<br />
war <strong>der</strong> Bodenseeraum europaweit ein wichtiges Zentrum<br />
<strong>der</strong> textilen Produktion. Verschiedene Handelszentren<br />
pflegten Geschäftsbeziehungen kreuz und quer in Europa.<br />
Von Anfang an war die <strong>Schweizer</strong>ische <strong>Textilindustrie</strong><br />
überregional und international verflochten (Eisenhut,<br />
2002).<br />
Die boomende Branche brauchte Arbeitskräfte und fand<br />
sie zusehends unter den Bauern im Appenzellerland. Hier<br />
liess ein starkes Bevölkerungswachstum den Bauernstand<br />
verarmen. Die durch Erbteilung immer kleineren Höfe<br />
konnten ihre Besitzer nicht mehr ernähren. Sie waren auf<br />
1 Der Name Synthesegruppe leitet sich ab einerseits von <strong>der</strong> Gesamtsynthese, bei <strong>der</strong> die drei betrachteten Branchen Milchwirtschaft, <strong>Textilindustrie</strong><br />
und Holzwirtschaft gleichermassen zu einer Gesamtsicht des Falls Appenzell Ausserrhoden beitragen. An<strong>der</strong>erseits ist die Synthesearbeit wesentliches<br />
Merkmal <strong>der</strong> Studienteams (Synthesegruppen), sei es, indem Wissen aus Praxis und Hochschule zusammengeführt wird, sei es durch inhaltliche<br />
Synthese, indem Wissen aus verschiedenen Perspektiven integriert wird. Die CHASSISGRUPPE betreibt nicht primär Synthesearbeit, son<strong>der</strong>n ihre<br />
hauptsächliche Aufgabe besteht in <strong>der</strong> Bereitstellung und Vermittlung geeigneter methodischer Werkzeuge, die ein standardisiertes Vorgehen <strong>der</strong><br />
Synthesegruppen sicherstellen und somit eine Gesamtintegration <strong>der</strong> drei Branchen ermöglichen soll.<br />
UNS-Fallstudie 2002 3