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Zukunft der Schweizer Textilindustrie ? - ETH Zürich

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Appenzeller <strong>Textilindustrie</strong> (Vorversion)<br />

Abb. 1.1: Junger Weber bei <strong>der</strong> Arbeit im Webkeller.<br />

Quelle: aus (Tanner, 1985, S. 71).<br />

einen Zusatzverdienst angewiesen, den sie in <strong>der</strong> Heimarbeit<br />

fanden (Tanner, 1982).<br />

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Die Bauern traten anfänglich als Kleinunternehmer auf<br />

(Lohnauftrag), welche Waren produzierten und diese an<br />

Kaufleute in St. Gallen verkauften. Frauen, Kin<strong>der</strong> und<br />

Alte, unterstützt durch den Bauern, wenn es auf dem Feld<br />

wenig Arbeit gab, spinnten, woben und stickten (Tanner,<br />

1982).<br />

Der blühende Handel, aber auch bedingt durch wie<strong>der</strong>kehrende<br />

Nahrungsmittelknappheit, welche die Produktion<br />

von Rohstoffen (Flachs, Wolle) einschränkten, führte<br />

zusehends zur Unterversorgung von Garnen für die weitere<br />

Verarbeitung. Das Garn aus <strong>der</strong> eigenen Produktion<br />

reichte nicht mehr. Die Kaufleute begannen auf dem europäischen<br />

Markt Garn einzukaufen, um die Weber zu<br />

versorgen. Sie stellten den Bauern auch die immer komplexer<br />

und teurer werdenden Maschinen zur Verfügung;<br />

im Gegenzug kauften sie ihnen die fertigen Produkte ab.<br />

Der Erlös deckte aber nicht immer die Investitionskosten<br />

für Maschinen und Rohstoffe. Viele Bauern gerieten in<br />

grosse Abhängigkeit von Kapitalgebern (Händler, Rohstofflieferanten).<br />

Im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t machten Appenzeller Kaufleute <strong>der</strong><br />

Stadt St. Gallen ihren Rang streitig. Sie gründeten in Herisau<br />

und Trogen eigene Handelszentren (Eisenhut, 2002).<br />

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Im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t löste die Baumwolle Leinen als wichtigste<br />

Handelsware ab. Wie<strong>der</strong>um bildete die Stadt St.<br />

Gallen den Ausgangspunkt. Von hier wurde das neue<br />

Material in grösseren Mengen eingekauft. Die Baumwollverarbeitung<br />

verbreitete sich rasch über ganz Appenzell<br />

Ausserrhoden. Die feuchten Webkeller <strong>der</strong> Bauern, wo<br />

die Maschinen aus Stabilitätsgründen installiert wurden,<br />

boten das ideale Klima für die Verarbeitung (Weben) des<br />

Materials (Eisenhut, 2002). Die Mengenausweitung, Rationalisierung<br />

und Professionalisierung des Gewerbes<br />

führte schon vor <strong>der</strong> Industrialisierung zu einer hoch differenzierten,<br />

arbeitsteiligen Produktionsweise. Einzelne<br />

Arbeitsschritte wurden zu Berufen (Spinner, Weber, Stikker).<br />

Zu Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts stellte die von England<br />

ausgehende Mechanisierung die auf Heimarbeit gründende<br />

Appenzeller Textilproduktion vor eine grosse Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

<strong>der</strong> sie mit Spezialisierung und Diversifikation<br />

vorerst erfolgreich begegnete. Erst später als in an<strong>der</strong>en<br />

Gegenden <strong>der</strong> Schweiz, in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts, hielt auch im Appenzellischen die mechanisierte<br />

Produktionsweise Einzug, nachdem die 1857 einsetzende<br />

Weltwirtschaftskrise die strukturellen Schwächen<br />

<strong>der</strong> appenzellischen <strong>Textilindustrie</strong> aufgedeckt hatte<br />

(Tanner, 1982).<br />

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Während Boom und Krise, internationale Vernetzung und<br />

Abhängigkeit die textile Produktion schon in ihren gewerblichen,<br />

vorindustriellen Zeiten prägten, brach die industrielle<br />

Revolution die lebensweltlichen Verhältnisse<br />

<strong>der</strong> Bauern auf. Es entstanden Fabriken, <strong>der</strong>en Maschinen<br />

durch Wasserkraft angetrieben wurden. Die Arbeiter waren<br />

in einen rationalisierten Prozess eingebunden. Sie<br />

konnten sich nicht mehr als Bauern verstehen, welche<br />

durch die Heimarbeit ihre landwirtschaftliche Existenz sicherten,<br />

son<strong>der</strong>n sie waren Lohnabhängige. Die Maschinenstürme,<br />

Sabotageakte und sozialen Aufstände richteten<br />

sich anfänglich nicht gegen diese sozialen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

son<strong>der</strong>n gegen die Maschine als effizientere, billigere<br />

Konkurrenz zur handwerklichen Produktion. Erst mit <strong>der</strong><br />

Zeit wuchs das Arbeiterbewusstsein und mit ihm die For<strong>der</strong>ungen<br />

nach menschlicherer Arbeit, minimalem Arbeitsschutz,<br />

Arbeitszeitbeschränkungen und dem Verbot<br />

von Kin<strong>der</strong>arbeit. 1877 legte das erste <strong>Schweizer</strong>ische<br />

Fabrikgesetz in diesen Bereichen Mindeststandards fest.<br />

Die Industrialisierung ermöglichte eine gewaltige Erhöhung<br />

<strong>der</strong> Produktivität. Textilien wurden zum international<br />

gehandelten Massengut. Die Mengenausweitung<br />

kompensierte die Rationalisierung und <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Beschäftigten<br />

in <strong>der</strong> Textilbranche nahm laufend zu. Zusätzlich<br />

wurde die <strong>Textilindustrie</strong> in ein komplexes Netz <strong>der</strong><br />

industriellen Produktion, Finanzierung und Distribution<br />

eingebunden. Die Entwicklung und Herstellung <strong>der</strong> Maschinen<br />

wuchs zum eigenen Industriezweig, <strong>der</strong> zur<br />

Gründung von Firmen wie Rieter und Sulzer führte; die<br />

Eisenbahn beför<strong>der</strong>te die immer grösser werdenden Warenmengen<br />

und benötigte ihrerseits eine leistungsfähige<br />

Maschinenindustrie, welche Lokomotiven und Waggons<br />

herstellte. Die Investitionen für den Aufbau dieser industriellen<br />

Infrastruktur waren gewaltig. Ein mo<strong>der</strong>nes Bankensystem<br />

entstand (Graig, 1988).<br />

4 UNS-Fallstudie 2002

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