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e-Buch-Psychologisch.. - Jochen Fahrenberg

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sie auf gutem Wege ist, sich selbst als Epileptikerin zu wählen. Ihre beachtlichen,<br />

persönlichen Anstrengungen Schauspielerin zu werden, verstehe ich nicht als<br />

einen Versuch, sich zumindest auf der Bühne in eine andere Person umzudichten,<br />

sondern als einen Versuch der Selbst-Verteidigung (vgl. Annas Ausführungen zur<br />

Schauspielerei).<br />

Selbst-Verteidigung: Um diese Ansicht weiter zu verdeutlichen, möchte ich<br />

ein Zitat aus dem <strong>Buch</strong> “Psychologie der Selbstdarstellung” (Mummendey,<br />

1995, S. 34) anbringen, weil dieser Sachverhalt nicht treffender ausgedrückt<br />

werden kann:<br />

“Was ein Schauspieler darstellt, seine Rolle und die im Rahmen dieser Rolle<br />

dargestellte Person und ihr Charakter, verdient zunächst scheinbar nicht die<br />

Bezeichnung Selbstdarstellung. Man könnte nämlich annehmen, die Darstellung<br />

einer bestimmten Figur in einem Schauspiel, Musik- oder Tanztheaterstück sei<br />

eben gerade keine Selbstdarstellung, sondern die Darstellung eines anderen<br />

Charakters oder einer fremden Person. Die Kunst des Schauspielers, so könnte<br />

man meinen, bestehe gerade darin, sich zu verstellen, und zwar in der Weise,<br />

dass er eine ganz andere Person, die gerade nicht er selbst sei, überzeugend<br />

darstelle. Dies mag gelegentlich so sein. Sehr oft wird es sich jedoch so verhalten,<br />

dass bereits die Vergabe einer Rolle an einen Schauspieler und damit an eine<br />

ganz bestimmte Person so etwas wie eine besondere Affinität von Person und<br />

Rolle voraussetzt oder aber schafft. Die Kunst des Schauspielers wird zumeist<br />

nicht darin zum Ausdruck kommen, eine für ihn fremdartige Rolle getreu<br />

auszufüllen, sondern sie wird oft darin bestehen, dass er die Rolle mit seiner persönlichen<br />

Art und Weise, die darzustellende Person zu interpretieren, erfüllt und<br />

sich selbst ein Stück weit enthüllt (vgl. hierzu Max Reinhardt, 1974).”<br />

Da sich in unserem Gespräch also sowohl “Indizien” für als auch gegen Annas<br />

Selbst-Wahl und Selbst-Verteidigung als Epileptikerin finden lassen, verstehe ich<br />

diesen Prozess als im Grunde noch nicht endgültig abgeschlossen bzw. entschieden.<br />

Diese Vermutung scheint mir insbesondere ihre starke emotionale Reaktion<br />

auf das Schicksal ihres Onkels Winnie zu belegen. Da ich es anfänglich als merkwürdig<br />

empfunden habe, dass Anna gerade bei diesem Thema fast angefangen<br />

hat zu weinen und nicht, als sie über ihre Epilepsie spricht, habe ich insbesondere<br />

darüber intensiv nachgedacht. Festzuhalten ist zum einen, dass ihr Onkel<br />

der vier Jahre ältere Bruder ihrer Mutter ist, sich also im Grunde zwischen ihrem<br />

Onkel und ihrer Mutter eine ähnliche Situation darstellt wie zwischen Anna und<br />

ihrem Bruder Thomas. Letztlich kam es mir jedoch nicht so vor, als hätte Anna<br />

stellvertretend um den möglichen Tod ihres Bruders geweint. Dann fiel mir auf,<br />

dass die Art und Weise wie sie ihren Onkel beschrieben hat, (vgl. Beziehung zum<br />

Onkel) und die Tatsache, dass sie ihn für einen guten Schauspieler im Leben hält,<br />

möglicherweise dafür sprechen, dass ihr Onkel ein Identifikationsobjekt, wenn<br />

auch ein verlorenes, darstellt. Annas Schilderungen ihres Onkels als einen<br />

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