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e-Buch-Psychologisch.. - Jochen Fahrenberg

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Die Auswahl dessen, was im Kontext dieser Biographie für die Interpretation<br />

wichtig erscheint, ist bereits ein partiell interpretierender Prozess. Auf die unvermeidlichen<br />

selektiven und inferentiellen Schritte wurde deshalb bei den vorbereitenden<br />

Aufgaben so ausdrücklich hingewiesen. Die Selbsterfahrung, insbesondere<br />

bei der autobiographischen Skizze, kann dieses Methodenproblem in<br />

Erinnerung halten und zur Vorsicht anregen. Die Stichwörter und Anregungen<br />

zum Verfahren können vermeiden helfen, dass wichtige Bereiche einer<br />

Biographie im Verlauf eines intensiven Gesprächs ausgelassen werden.<br />

Die psychologisch genauere Ausformung dieses Interpretationsansatzes mit<br />

idiographischen Hypothesen (“wie kam es dazu, dass ...?”) und prognostischen<br />

Vermutungen (“wie könnte es künftig sein, dass ...?”) verlangt, über den psychologischen<br />

Interpretationsentwurf hinaus, ein theoretisches Konzept. Bereits<br />

der explorative Teil und der eigene Interpretationsversuch werden sich unvermeidlich<br />

am Wissen oder an allgemeinen Annahmen über Entwicklungsprozesse<br />

orientieren und sie werden deshalb auch unterschiedlich ausfallen: mit eigenschaftstheoretischen,<br />

psychodynamisch-tiefenpsychologischen, lerntheoretischen,<br />

sozialisationstheoretischen, interaktionistischen, konstrukt- und selbsttheoretischen<br />

oder noch anderen Konzepten. Für eine große psychologische<br />

Biographie wäre eine kreative Kombination dieser verschiedenen Interpretationsansätze<br />

zu wünschen.<br />

In didaktischer Absicht hat Pervin (2000) mit dem Fall Jim Hersh ein multistrategisches<br />

Assessment (engl. Erfassung, hier Persönlichkeitsbeschreibung)<br />

gegeben. Diese Darstellung stützte sich jedoch, ähnlich wie die von Holt (1969)<br />

geschriebene Skizze, überwiegend auf psychologische Tests und Interviews. Die<br />

in diesen Assessmentstrategien enthaltenen unterschiedlichen theoretischen<br />

Auffassungen und die wesentlichen Fragen nach der psychologischen Strukturierung<br />

einer Biographie kommen in diesen Fallstudien kaum zur Sprache.<br />

Im Arbeitskreis von Thomae (1968; siehe Abschnitte 6.6 und 11.4) sind diese<br />

Überlegungen gründlicher gediehen. Im professionellen Rahmen wird die<br />

Strukturierung von Exploration und biographischer Interpretation in der Regel<br />

durch die fachliche Fragestellung in einem Anwendungsbereich erleichtert. So<br />

wird eine praktische Aufgabe vorzeichnen, welche Themen und Zusammenhänge<br />

vorrangig erkundet werden müssen: z. B. in der Berufs- und Lebensberatung,<br />

eine notwendige Entscheidung im Personalwesen, eine Differentialdiagnose<br />

oder eine spezielle Fragestellung der Forschung. Da gewöhnlich<br />

auch die Zeit sehr begrenzt sein wird, sind außer einigen allgemeinen Fragen<br />

zum Lebenslauf oft nur wenige Themen gezielt zu explorieren. Die Biographik<br />

verkürzt sich dann zur biographischen Methode innerhalb einer bestimmten<br />

diagnostischen Aufgabe, d. h. zu einer Assessmentstrategie für eine psychologische<br />

Entscheidung.<br />

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