29.01.2013 Aufrufe

e-Buch-Psychologisch.. - Jochen Fahrenberg

e-Buch-Psychologisch.. - Jochen Fahrenberg

e-Buch-Psychologisch.. - Jochen Fahrenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

• das sich hineinversetzende, kongeniale Verstehen, das divinatorische<br />

Verstehen (lat. mit göttlicher Eingebung oder mit Sehergabe);<br />

• das Verstehen des (tieferen) Sinns.<br />

Groeben (1986) versuchte aus der Sicht der Psychologie drei Hauptbedeutungen<br />

herauszuarbeiten: die Erkenntnisfunktion des Verstehens bei der Beschreibung<br />

von komplexen Einheiten, die vorgeordnete Heuristikfunktion des Verstehens für<br />

Erklärungen; die indirekte Erklärungsfunktion von Verstehen innerhalb der<br />

Theoriehaltigkeit von Beschreibungen bei komplexen Einheiten (S. 381).<br />

Außerdem hob er das dialogische vom monologischen Verstehen ab.<br />

Für Schleiermacher und Dilthey stand die Sprache in ihrer Universalität als die<br />

Basis der hermeneutischen Bemühungen fest. Sie meinten primär das Lesen und<br />

Auslegen von Texten. Diese enge Beschränkung kann jedoch nicht überzeugen.<br />

Zweifellos können auch Bedeutungen von nicht-sprachlichen Werken und Geschehnissen<br />

ausgelegt werden. Aus kunstwissenschaftlicher Sicht wurde dies<br />

von Bätschmann (2001) ausführlich dargelegt, und ein Musikwissenschaftler<br />

müsste sich dem anschließen. Es gibt deshalb einen erweiterten Begriff der<br />

Hermeneutik, der auch diese Medien umfasst. Aus psychologischer Sicht ist an<br />

die Interpretation von Mimik und Stimme und vor allem an die Interpretation<br />

von Verhaltensweisen, Handlungen und Interaktionen zu erinnern. Dass es eine<br />

psychische und personale Wirklichkeit “hinter der Sprache” gibt, darf nicht ausgeblendet<br />

werden.<br />

Auch in anderer Hinsicht wirkt die Diskussion über Hermeneutik und Verstehen<br />

bei vielen der geisteswissenschaftlichen (z. T. auch bei sozialwissenschaftlichen)<br />

Autoren sehr verkürzt. Aus methodologischer und psychologischer Sicht<br />

gibt es eigentümliche Lücken. So wird Freud von Ausnahmefällen (Ricoeur,<br />

1999) abgesehen nur selten erwähnt. Es geht ja nicht um den Anspruch der<br />

psychoanalytischen Theoriebildung oder um die Gültigkeit der Trieblehre, sondern<br />

um die Erfahrung mit der Interpretationsmethodik. In der vor der neueren<br />

Hermeneutikdebatte veröffentlichten Traumpsychologie hatte Freud (1900) einige<br />

fundamentale Aspekte beschrieben: latent-unbewusste Bedeutungen der<br />

manifesten Texte, systematische Entwicklung und Prüfung interpretativer<br />

Konstruktionen, Auslegung mit Hilfe von spontanen Einfällen und Assoziationen.<br />

Auch das empirische Dilemma von Interpretationstiefe und Interpretationsdivergenz<br />

und die Konvergenzprobleme scheinen wenig zu interessieren.<br />

Missverstehen, Auslegungsmängel und typische Fehlerquellen sind hier kein<br />

Thema.<br />

Die Begriffe Hermeneutik und Verstehen sind durch diese Tradition so sehr<br />

belastet, dass – über die Kennzeichnung eines überdauernden Problemfeldes hinaus<br />

– kaum noch eine Übereinstimmung zu erreichen sein wird. Die allgemeine<br />

Interpretationslehre könnte eher in der aristotelischen Akzentuierung der Inter-<br />

321

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!