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e-Buch-Psychologisch.. - Jochen Fahrenberg

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psychosomatische und somatische Seite aufgeklärt werden kann. Dem ist entgegen<br />

zu halten, dass auch soziale Bedingungen und Abhängigkeiten nur teilweise<br />

vordergründig bewusst sein werden.<br />

Vielleicht ist in dieser Einseitigkeit nicht nur eine Voreingenommenheit durch<br />

Studium und fachliches Interesse, sondern auch eine Folge der geisteswissenschaftlichen<br />

Tradition der Psychologie zu sehen. Die Individualität eines Menschen<br />

und maßgebliche Entwicklungsprozesse sind gewiss auch in der genetischen Ausstattung,<br />

in den konstitutionellen Eigenschaften, in Vulnerabilitäten und Resistenzen<br />

begründet. Die morphologische, physiologisch-adaptive, biochemische und<br />

immunologische Individualität steht der Vielfalt psychosozialer Unterschiede kaum<br />

nach (siehe <strong>Fahrenberg</strong>, 1995). Wahrscheinlich haben viele Menschen mehr tatsächliches<br />

Wissen als sie in einem als “nur psychologisch” erlebten Gespräch spontan<br />

erzählen würden. Es können jedoch auch unzutreffende Vermutungen und<br />

Kausaldeutungen (“Laienätiologie”) über ihre körperliche Konstitution und über<br />

“Vererbtes” sein. Dazu gehören auch störende Körperwahrnehmungen (Beschwerden),<br />

Krankheitszeichen und deren mögliche Verursachung.<br />

Diese Ebenen des einheitlichen Lebensprozesses in einer wirklich umfassenden<br />

biographischen Sicht zu vereinen, ist zweifellos schwieriger als eine nur<br />

sozialwissenschaftliche oder nur verstehend-psychologische Perspektive. Es<br />

werden sich komplizierte Fragen nach der Korrelation solcher Prozesse ergeben.<br />

Die psychosomatisch bzw. psychophysiologisch orientierten biographischen Ansätze<br />

zeigen wenigstens Annäherungen an diese Ziele (von Uexküll, 1996).<br />

Standortgebundenheit und Zeitabhängigkeit<br />

Die Standortabhängigkeit wird an der unvermeidlich durch individuelle Ausbildung,<br />

Berufsfeld und Lebenserfahrung begrenzten Perspektivität deutlich.<br />

Beispiele für die Zeitabhängigkeit unseres Denkens sind die heute so wichtige<br />

und früher völlig fehlende ökologische Perspektive, der erweiterte Horizont<br />

durch oft sehr frühe Kontakte mit fremden Kulturen dank weiter Auslandsreisen.<br />

Die zwiespältigen Einflüsse des Fernsehens und der Kommunikation im Internet<br />

und andere Formen der Globalisierung schaffen z. T. völlig neue Kontexte und<br />

intensive Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Am Fehlen solcher Aspekte und Kontexte, an ihren blinden Flecken, oft bereits<br />

an der Sprache, sind “alte” biographische Schilderungen zu erkennen. Sie mögen<br />

in vielen Kernaussagen weiterhin überzeugend sein, weisen aber aus heutiger<br />

Sicht systematische Lücken auf. Hier kann sich die selbstkritische Überlegung<br />

anschließen, wo gegenwärtig blinde Flecken bestehen. Was könnte wohl in<br />

zwanzig Jahren bei einem ähnlichen Rückblick auf die heutige Zeit vermisst<br />

werden?<br />

Ein näherer Blick in die Sachregister und Literaturverzeichnisse der Publikationen<br />

zu Biographik lässt oft die Standortgebundenheit deutlich werden.<br />

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