Download - VEN Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt
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entwickeln, weist sehr problematische Züge auf: Dieser biologische Sortenbegriff ist (1) zu<br />
unscharf, um zu einer hinreichenden Definition zu führen, und er ist (2) defizitär, weil er<br />
lediglich die biologische Komponente (Fortpflanzungszusammenhang), nicht aber die kulturelle<br />
Komponente berücksichtigt, ohne die <strong>der</strong> Sortenbegriff nicht auszukommen vermag: die<br />
Intentionalität, die sich im Interesse an spezifischen Eigenschaften von Sorten nie<strong>der</strong>schlägt<br />
(s.o. S. 19f). Die S. 27 zitierte Definition von cultivar im International Code of Nomenclature<br />
for Cultivated Plants (ICNCP-1995) hält den Zutritt für diese fundamentale Bestimmung des<br />
Sortenbegriffs - Sorten sind kulturelle Objekte - in die Definition offen, indem sie<br />
Sorte/cultivar (zwar nicht ausschließlich als Morphotaxon aber) prinzipiell über den typologischen<br />
Merkmalsvergleich definiert: Der ICNCP-1980 sagte sehr verständlich: "characters<br />
(morphological, physiological, cytological, chemical, or others)".<br />
Das Argument lässt sich noch schärfer entwickeln, wenn man danach fragt, mit welchem<br />
Recht in (2) neue Begriffe eingeführt werden, die die Basis <strong>der</strong> Kritik liefern. Was heißt das<br />
schon, "hält offen"? Ist die Einführung neuer Begriffe nicht ein willkürlicher Schachzug?<br />
Nein, ist es nicht. Alle, die Wildpflanzen-Taxonomie, die Kulturpflanzen-Taxonomie und die<br />
ungezählten volkstümlichen o<strong>der</strong> indo-/endogenen Taxonomien basieren auf <strong>der</strong> empirischen<br />
Demonstration, dass die phänotypische Variation innerhalb <strong>der</strong> Tier- und Pflanzenwelt<br />
nicht nur aus kontinuierlichen Übergängen besteht und nicht nur wahllose Merkmalskombinationen<br />
auffindbar sind, son<strong>der</strong>n dass sich diskrete Einheiten bilden lassen - Taxa<br />
(Arten, Sorten). In einem multidimensionalen Raum, in dem jede Dimension einer Merkmalsachse<br />
entspricht, entsteht das jeweilige Taxon als Cluster von Individuen, das in sich<br />
kontinuierlich variiert, nach außen aber (zumindest in Bezug auf eine Merkmalsachse) durch<br />
einen freien Raum von an<strong>der</strong>n Clustern getrennt ist 47 . Diese phänetische Taxon-Definition<br />
ist nicht nur die Arbeitsbasis je<strong>der</strong> praktischen Taxonomie 48 , in Bezug auf den Sortenbegriff<br />
ist sie sogar die Definition <strong>der</strong> taxonomischen Kategorie selbst - und dies muss so sein,<br />
denn: In <strong>der</strong> theoretischen Biologie erklären biologische, evolutionäre, ökologische Species-<br />
Konzepte, warum das, was als phänetische Variation beschreibbar ist, kompartimentalisiert<br />
ist, und wie diese abgrenzbaren Einheiten entstehen und in <strong>der</strong> Zeit fortbestehen. Diese<br />
Erklärungsmodelle erarbeiten aus dem Begriffsrahmen, <strong>der</strong> die Biologie als Wissenschaft<br />
konstituiert, die biologische Natur <strong>der</strong> Taxa - und sie haben nichts damit zu tun, mit welchen<br />
Kriterien / über welches Merkmalsset die einzelnen Taxa umschrieben werden. So sehr<br />
dieses "w a s ein je spezifisches Taxon" ist, von dem unterschieden werden muss, w i e<br />
und w a r u m es so ist, so sehr sind diese beiden Aspekte auf einan<strong>der</strong> verwiesen; und<br />
dies gilt auch für die Ebene <strong>der</strong> Sorten. Nur wird <strong>der</strong> zweite Aspekt bei den Sorten nicht im<br />
Rahmen eines biologischen Modells bearbeitet, son<strong>der</strong>n kann nur im Rahmen einer Theorie<br />
47 Diese Formulierung des Taxon-Begriffs in <strong>der</strong> Sprache des mathematischen Raumbegriffs ist sicher<br />
mo<strong>der</strong>n. Eingewickelt in die Metapher des Netzes aber findet sich die Rede von Arten als Mengen von<br />
Individuen, die in einem multidimensionalen Merkmalsraum durch diskrete Lücken von einan<strong>der</strong><br />
getrennt sind, schon vor mehr als einem Jahrhun<strong>der</strong>t in <strong>der</strong> Hochzeit <strong>der</strong> Diskussion um den<br />
darwinschen Artbegriff (und nur den Artbegriff) bei HOFFMANN 1874: Sp. 301: "O<strong>der</strong> man könnte die<br />
verschiedenen Species einer Gattung einem Maschennetze vergleichen, dessen Knoten die idealen<br />
Typen <strong>der</strong> Species sind, die Fäden die Verbindungslinien <strong>der</strong> Einzelcharaktere zu den benachbarten<br />
Species; während aber diese Fäden bei den Species wirklich durchschnitten sind, so dass nur Berührung<br />
vorkommt, nicht Continuität; so ist es bei den Varietäten an<strong>der</strong>s: hier laufen dieselben continuirlich<br />
in einan<strong>der</strong> über (wie ein Plasmodium-Netz), so sehr, dass man eine Form aus <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n educiren,<br />
o<strong>der</strong> sie in einan<strong>der</strong>, mit allen Charakteren, reduciren kann."<br />
48 Dies gilt selbst dann noch, wenn die Taxa über DNA-Sequenz-Unterschiede differenziert werden.<br />
Denn die dafür notwendigen Diskriminanzlevel müssen geeicht werden - und dies kann nur im Rückgriff<br />
auf Entscheidungen <strong>der</strong> traditionellen Taxonomie geschehen (das gilt erst recht, wenn - wie LAW<br />
et al. 2001: 98 for<strong>der</strong>n - die Wahl <strong>der</strong> "richtigen" molekularbiologischen Methode im Rahmen von DUS-<br />
Tests tatsächlich fruchtartenspezifisch erfolgen muss). D.h. aber: An einer ganz entscheidenden Stelle<br />
greift die traditionelle Taxonomie in den Begründungskontext molekulargenetisch basierter Entscheidungsprozesse<br />
ein. In <strong>der</strong> Praxis von Identifikation und Klassifikation ist es wohl möglich, dass<br />
man die phänetische Taxondefinition vergisst und durch an<strong>der</strong>e Definitionsprozesse substituiert, aber<br />
sie bleibt dennoch in das begriffliche Fundament <strong>der</strong> Systematik eingemauert, ohne dass die Möglichkeit<br />
besteht, sie herauszubrechen.<br />
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