3.3.1 Sieben Merkmale der Novelle - Theses
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mit <strong>der</strong> Begründung „‚Das Blitzen tut meinen Augen weh!’“ 112 Der Hausmeister trägt ihn<br />
also weg, in eine alte Rüstkammer, und bedeckt ihn mit dem „Bahrtuch vom Begräbnis<br />
<strong>der</strong> guten Gräfin“, damit „kein Lichtstrahl für<strong>der</strong> es berühren konnte“ 113 . Bereits mit<br />
dieser Tat wird angedeutet, dass sich die Eigenschaften des Spiegels verän<strong>der</strong>n. So wie<br />
das Licht mit dem Leben zusammenhängt, hängt die Dunkelheit mit dem Tod zusammen.<br />
Außerdem ist es kein beliebiges Stück eines Stoffes, son<strong>der</strong>n ein Bahrtuch.<br />
Als <strong>der</strong> Spiegel das nächste Mal ins Spiel kommt, wird die Verwandlung seiner<br />
Wirkung vollendet. Hager fängt Kuno in <strong>der</strong> alten Rüstkammer, nachdem <strong>der</strong> Junge über<br />
das Bahrtuch stolpert und das Tuch vom Spiegel herunterreißt. Es stellt sich die Frage, ob<br />
das Kind wirklich durch Hagers Hand gestorben ist o<strong>der</strong> ob es <strong>der</strong> Spiegel war. Die<br />
Wunde, die Kuno hat, ist nämlich dieselbe, die später die schöne Gräfin auf dem Körper<br />
ihres eigenen Sohnes Wolf entdeckt: Sie erblickte „den dunkelroten Fleck auf seinem<br />
[Wolfs] Herzen, den sie kurz zuvor auf <strong>der</strong> Brust des kleinen Kunos gesehen hatte“ 114 .<br />
Daraus ließe sich schließen, dass es wirklich <strong>der</strong> Spiegel war, <strong>der</strong> den Tod <strong>der</strong> beiden<br />
Jungen verursachte. In Kunos Fall ist es komplizierter, denn es werden keine konkreten<br />
Angaben gemacht. Eine Vermutung wäre: Als Hager Kuno schlagen und töten wollte, hat<br />
genau das <strong>der</strong> Spiegel wi<strong>der</strong>gespiegelt, was dazu führte, dass sich seine positive Kraft<br />
gerade in dem Augenblick in eine negative Kraft verwandelte, woran <strong>der</strong> Junge stirbt. Das<br />
würde die Ähnlichkeit <strong>der</strong> Wunde <strong>der</strong> beiden Jungen erklären. Ganz sicher kann man die<br />
These aber nicht belegen, weil im Text eindeutigere Signale fehlen. Der Hausmeister, <strong>der</strong><br />
im Keller ist, glaubt Kuno um Hilfe rufen zu hören. Er ist aber <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> etwas hört<br />
– <strong>der</strong> Diener, <strong>der</strong> mit ihm im Keller ist, hört gar nichts. Auf jeden Fall kommt <strong>der</strong><br />
Hausmeister zu spät, um zumindest die Ursache des Todes von Kuno zu erfahren.<br />
Als ungefähr einen Monat später Wolf in die Rüstkammer geht, ist er von dem<br />
entblößten Spiegel fasziniert und sieht darin nicht nur sich selbst. „Er kniete nie<strong>der</strong> und<br />
legte die Stirn an das Glas, um so nahe wie möglich hineinzuschauen. Plötzlich griff er<br />
aber mit beiden Händen nach dem Herzen. Dann sprang er mit einem Wehschrei in die<br />
Höhe. ‚Hilfe!’ schrie er.“ 115 Genauso wie <strong>der</strong> Hausmeister irrt seine Mutter durch die<br />
Gänge und sucht ihren kleinen Sohn. Sie hat aber die Möglichkeit ihn nach <strong>der</strong><br />
Todesursache zu fragen:<br />
112 Ebd. S. 49.<br />
113 Ebd. S. 50.<br />
114 Ebd. S. 62.<br />
115 Ebd. S. 61.<br />
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