Weichmacherverlust bei PVC-Objekten von Joseph Beuys – Versuche zu kurativen und konservatorischen Massnahmen TEIL I BEUYS’ PVC-MULTIPLES UND IHRE VERÄNDERUNGSPHÄNOMENE Wegen der geografischen Nähe, auch mit dem Herausgeberverlag, kann man mutmassen, dass die von Beuys verwendeten PVC-Platten auf der Pressanlage dieser Krefelder Firma hergestellt worden sind; genauso gut kann es sich aber auch um extrudierte oder gepresste Platten einer anderen Firma handeln. Der Konzerngeschichte der Siegelkamp kann entnommen werden, dass die Firma nie über eine Extruderanlage, sondern nur über Presssysteme verfügt hat. 13 Die Art des verwendeten Weichmachers grenzt zwar den ursprünglichen Verwendungszweck der Platten ein, erlaubt aber nicht eine eindeutige Zuweisung zu einem bestimmten Produkt. Das vorgefundene Polyesteradipat (s. Teil II, Kap. 7.5, Identifizierung des Weichmachers), ist relativ teuer und wird grund- sätzlich nur als Weichmacher bei spezialisierten Produkten verwendet, die eine hohe Öl- und Migrations- beständigkeit aufweisen müssen. Gespräche mit FreundInnen, Angehörigen und KennerInnen von Beuys Die Feststellung, dass Beuys seine Materialien wie wohl kein anderer bewusst gewählt hat, wird zwar von allen GesprächspartnerInnen 14 bestätigt, aber gerade in Bezug auf den Kunststoff auch relativiert. Einige sagten, wohl zu Recht, dass die Degradation von Kunststoffen zu jener Zeit, Anfang der Siebziger Jahre, gar keine Fragestellung war, und dass es eine Über-Interpretation wäre, den Titel der Postkarte, «Honey is flowing», linear mit dem Veränderungsphänomen in Verbindung zu bringen. Man sei damals fasziniert gewesen von den neuen Techniken und Materialien und habe sie benützt, ohne sich darum zu kümmern, wie sie in dreissig Jahren aussehen würden. Für Beuys habe bestimmt die honiggelbe, transluzente Qualität der Platten den Ausschlag für ihre Verwendung gegeben. Zur Frage bezüglich anderer organischer, degradierender Materialien, mit denen Beuys gearbeitet hat, weist Johannes Stüttgen darauf hin, dass beispielsweise die von Beuys verwendeten Fett-Bienenwachs- Buttergemische heute eine fast mumifizierte Qualität aufweisen. Sie sind zwar labil, aber nur in Bezug auf die Zufuhr von Wärme. Ein radikales Transformationspotential wird also zwar suggeriert, kommt aber nicht ohne Energiezufuhr, also ohne aktives Eingreifen, zustande. Anderseits ist die Vorstellung natürlich bestechend, dass Beuys sich auch in der Frage von Material- veränderungen als Visionär erweise – und Johannes Stüttgen wie auch Katharina Sieverding, ebenfalls eine ehemalige Meisterschülerin von Beuys, meinen, dass Beuys durchaus seine helle Freude hätte, wenn er sehen könnte, dass aus diesem synthetischen Stoff plötzlich „Honig“ fliesst. Zumal, wie Karola Grässlin betont, Vergänglichkeit, Transformation, Tod und Leben zentrale Themen in seiner Arbeit waren. Und doch – was da herausfliesst, ist kein Honig, und nach Meinung von Johannes Stüttgen wäre es bestimmt gegen die Intention von Beuys, wenn von einem von ihm verwendeten Material umwelt- oder gesundheitsschädliche Stoffe emittiert werden. Veränderung und Transformation soll sich nicht abstrakt in den Dingen als „l’art pour l’art“ vollziehen, sondern soll sich auf die Gesellschaft, auf die «soziale Plastik» beziehen, und jeder Mensch soll sich als aktiven Teil der Gesellschaft und Umwelt begreifen. 13 Siegelkamp 2006 14 Gespräche mit Klaus Staeck, Heidelberg; Dr. Guido de Werd, Kleve; Dr. Gerhard Storck; Krefeld; Karola Grässlin, Braunschweig; Jörg Schellmann, München; Karl Heinz Rummeny, Düsseldorf; Johannes Stüttgen, Düsseldorf; Katharina Sieverding, Düsseldorf/Berlin, Eva Beuys, Düsseldorf 9
Weichmacherverlust bei PVC-Objekten von Joseph Beuys – Versuche zu kurativen und konservatorischen Massnahmen TEIL I BEUYS’ PVC-MULTIPLES UND IHRE VERÄNDERUNGSPHÄNOMENE Eine sehr klare Position vertritt Eva Beuys, indem sie am 27.1.05 schreibt: «Auf keinen Fall, das kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, sollte das Material seine Form und Qualität verlieren. Beuys arbeitete nie wie vergleichsweise z.B. Dieter Roth, der Veränderung plante.» 15 Zusammenfassend kann wohl die Schlussfolgerung gewagt werden, dass kurative Eingriffe der künstlerischen Intention mit hoher Sicherheit nicht widersprechen. 15 aus einem Brief von Eva Beuys, 27.1.05, an S. Ryf, als Antwort auf eine schriftliche Anfrage 10