Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe
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anhaltenderen Wirksamkeit bedürfen, ihn zu verbrennen. Wäre es ein Bündel Stroh:<br />
im Augenblick würde es verzehrt sein und den Flug des Feuers nicht länger hemmen.<br />
So ein Hindernis würde nur dazu <strong>die</strong>nen, seine Kraft zu steigern, und es würde mit<br />
erhöhter Schnelligkeit seinem Ziel zueilen, nachdem es alle Hindernisse verzehrt hätte.<br />
Neue Hindernisse könnten es zwar in seinem Flug aufhalten, verzögern und hemmen.<br />
Um das Emporsteigen der Flamme zu hindern, braucht man nur fortzufahren, frisches<br />
Holz über sie zusammenzuhäufen. Dann wird sie dauernd am Boden kriechen, statt<br />
sich emporzuschwingen zu ihrem Zentrum.<br />
Gerade so verhält es sich mit den Menschen. Sie fühlen sich von Natur von <strong>Gott</strong><br />
angezogen. Unaufhaltsam würden sie zu ihm eilen und keinen Augenblick nachlassen<br />
in ihrem Lauf, wenn nicht <strong>die</strong> Hindernisse wären, <strong>die</strong> ihnen in den Weg treten. <strong>Die</strong>se<br />
Hindernisse sind <strong>die</strong> Sünden und <strong>die</strong> Fehler, <strong>die</strong> ihre Rückkehr zu <strong>Gott</strong> umso länger<br />
verzögern, je größer sie sind, und je schwerer es den Menschen wird, sie loszulassen<br />
und zu überwinden. So würde ein Mensch, der unaufhörlich sündigt, auch dauernd in<br />
seinem Lauf aufgehalten werden. Wenn er dann in einer Todsünde stirbt, könnte er<br />
nicht zu seinem Ziel gelangen, da sein Lauf durch den zeitlichen Tod abgebrochen und<br />
alles beendet <strong>ist</strong>. Andere Menschen kommen vorwärts, oft schneller oder langsamer, je<br />
nachdem <strong>die</strong> Hindernisse, <strong>die</strong> sie sich selbst bereiten, stärker oder schwächer sind.<br />
So müßten Menschen, <strong>die</strong> niemals eine Todsünde begangen haben, demnach<br />
eigentlich viel weiter kommen, als <strong>die</strong> anderen. Gewöhnlich <strong>ist</strong> das auch der Fall.<br />
Manchmal aber scheint es, als ob <strong>Gott</strong> sich darin gefiele, das Übermaß an Sünde zu<br />
überbieten, durch ein Übermaß seines Erbarmens.<br />
<strong>Die</strong> Ursache hiervon kann in dem Menschen liegen. Es kann sein, daß Menschen, <strong>die</strong><br />
keine ganz groben Sünden begangen haben, auf eine ungebührliche Weise von sich<br />
selbst eingenommen sind in ihrer eigenen Gerechtigkeit, und daß sie einen<br />
allzugroßen Wert auf <strong>die</strong> eine oder andere ihrer eigenen Tugenden legen. Sind sie z.B.<br />
Jungfrauen, so vergöttern sie ihre Reinheit, und ebenso handeln sie in anderen Dingen.<br />
<strong>Die</strong>ses kleben an sich selbst, <strong>die</strong>se Selbstachtung und Selbstbespiegelung, <strong>die</strong>se<br />
ungebührliche <strong>Liebe</strong> der eigenen Gerechtigkeit <strong>ist</strong> ein Hindernis, das weit schwerer zu<br />
beseitigen <strong>ist</strong>, als <strong>die</strong> größten Sünden. Bei Sünden, <strong>die</strong> an und für sich selbst häßlich<br />
sind, hat man sowieso keine Anhänglichkeit daran, jedoch hat man sie leicht an dem<br />
gleißenden Scheine der eigenen Gerechtigkeit. <strong>Gott</strong> aber, der <strong>die</strong> Freiheit seiner<br />
Geschöpfe keineswegs einschränkt, läßt <strong>die</strong>se Menschen sich ergötzen an ihrer<br />
Helligkeit, während er selbst ein Wohlgefallen daran findet, <strong>die</strong> Elendsten und<br />
Bedauernswürdigsten von ihrem Schlamm zu reinigen.<br />
Um <strong>die</strong>s zu erreichen, entzündet er in ihnen ein dermaßen scharfes und<br />
durchdringendes Feuer, daß <strong>die</strong> allergrößten Gebrechen schneller durch dessen