Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe
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gewonnen zu haben, und gönnt ihnen von Herzen gern <strong>die</strong> Unterpfander, <strong>die</strong> er selbst<br />
vorher besessen hatte.<br />
Während er sich selbst gegenüber <strong>die</strong>sen begünstigten Menschen so klein und gering<br />
vorkommt, und <strong>die</strong>se ihm als Könige erscheinen, hat er keine Vorempfindung von der<br />
Herrlichkeit, <strong>die</strong> gerade aus seiner Entblößung, seinem Sterben und Verwesen für ihn<br />
erwachsen wird. Denn der Freund entblößt ihn einzig und allein deshalb, um ihn zu<br />
bekleiden mit sich selbst, wie der heilige Paulus uns ermahnt „anzuziehen Jesus<br />
Chr<strong>ist</strong>us“. Er tötet ihn, um selbst sein Leben zu sein, wie geschrieben steht: „Sind wir<br />
mit Chr<strong>ist</strong>us gestorben, so werden wir auch mit ihm auferstehen“. Er vernichtet ihn,<br />
um ihn umzugestalten in sein Bild, wie es verheißen worden <strong>ist</strong>, daß wir sollen „ähnlich<br />
werden seinem verklärten Leib, nach der Macht, womit er alle Dinge sich untertänig<br />
machen kann“.<br />
Man darf daher nicht glauben, daß <strong>die</strong>ser so hart geprüfte Mensch, über dessen Haupt<br />
alle Wetter zusammenzuschlagen scheinen, in <strong>die</strong>sem seinem läuternden und<br />
reinigenden Stande wirklich von <strong>Gott</strong> verlassen sei. In Wirklichkeit <strong>ist</strong> er nie kräftiger<br />
von ihm unterstützt worden. Es <strong>ist</strong> nur <strong>die</strong> Natur, <strong>die</strong> für eine Weile sich selbst<br />
überlassen wurde, und <strong>die</strong> alle <strong>die</strong>se Verheerungen anrichtet, ohne daß <strong>die</strong> Seele teil<br />
daran hat.<br />
<strong>Die</strong>se trostlose Braut, während sie hierhin und dorthin rennt, um dem Geliebten zu<br />
folgen, kann es freilich nicht verhindern, vielfältig bestaunt und bespritzt zu werden.<br />
Sie ritzt sich wohl auch in den Dornenhecken, <strong>die</strong> an ihrem Wege sind. Sie ermattet so<br />
sehr, daß man jeden Augenblick erwartet, sie niedersinken und verscheiden zu sehen.<br />
<strong>Die</strong> größte Barmherzigkeit, welche der Freund unter solchen Umständen ihr erzeigen<br />
kann, <strong>ist</strong> <strong>die</strong>, daß er unerbittlich <strong>ist</strong> und sie sich zu Tode rennen läßt je eher je lieber.<br />
Manchmal wendet er sich ihr zu, und so oft er wahrnimmt, daß sie im Begriff sei, sich<br />
selbst aufzugeben und sich einem gefährlichen Ausruhen zu überlassen, besucht er sie<br />
mit einem liebenden Blick. Jeder solche Blick <strong>die</strong>nt dazu, sie neu zu entzünden und<br />
neu zu beflügeln, allerdings auch ihren sterbenden Zustand zu verlängern. Daher<br />
werden auch <strong>die</strong>se Blicke immer seltener, und <strong>die</strong> Besuche des Freundes immer<br />
flüchtiger, bis sie endlich, zur Zeit und Stunde, <strong>die</strong> ihm <strong>die</strong> rechte zu sein scheint, ganz<br />
und gar aufhören. Und jetzt <strong>ist</strong> der Rest ihrer wirkenden Kräfte erschöpft. Sie sinkt. Sie<br />
geht unter. Aber nur, um unter einem anderen Pol und über einer anderen<br />
Hemisphäre wieder aufzugehen.