Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe
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Ihr Menschen, <strong>die</strong> ihr aus dem Grab hervorgeht, ihr nehmt in eurem Inneren einen<br />
Lebenskeim wahr, der bis dahin euch verborgen geblieben <strong>ist</strong>. Ihr werdet mit<br />
Erstaunen inne, daß eine geheimnisvolle Kraft sich euer bemächtigt. Siehe, es regt sich<br />
in der Asche. <strong>Die</strong> dürren Gebeine rühren sich, und aus dem Staub ergrünt neues<br />
Leben...<br />
Er schaut sich um, der erstaunte Mensch, und er findet sich in einem ganz neuen Land.<br />
Er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Er wähnt, daß der Strahl, der ihn umleuchtet,<br />
durch irgendeinen Riss seines Grabes, etwa durch irgendeine Spalte seines Sarges<br />
eingedrungen sei in seine dunkle Behausung. Aber er wird bald von der Wahrheit<br />
überführt. Er empfindet, daß <strong>die</strong>se unbekannte Kraft ihn immer übermächtiger<br />
überwältigt, ihn immer inniger durchdringt. Er fühlt im Innersten, daß ihm ein neues<br />
Leben gegeben sei, das nicht verloren werden könne, ohne durch <strong>die</strong> allerschwärzeste<br />
und kaum denkbare Untreue. Aber <strong>die</strong>ses neue Leben <strong>ist</strong> nicht, wie vormals. Es <strong>ist</strong> „das<br />
Leben in <strong>Gott</strong>“.<br />
Es <strong>ist</strong> ein vollkommenes Leben. Er „lebt nicht mehr“, er wirkt nicht mehr durch sich<br />
selbst (Hebr. 4, 10), sondern „Chr<strong>ist</strong>us lebt", handelt und wirkt „in ihm“. Und <strong>die</strong>ses<br />
Leben, Handeln und Wirken wächst fort und fort. So das er vollkommen wird mit<br />
<strong>Gott</strong>es Vollkommenheit, reich mit seinen Reichtümern, liebend mit seiner <strong>Liebe</strong>.<br />
Der Mensch begreift nun, daß was er vormals gehabt hat, so groß es ihm auch<br />
erschienen war, in seinem eigenen Besitz gewesen war. Aber jetzt besitzt er nichts<br />
mehr, sondern er wird besessen. Er lebt nicht mehr in dem eigenen Leben, sondern mit<br />
dem Leben <strong>Gott</strong>es, der der Urgrund allen Lebens <strong>ist</strong>, und damit auch der Urgrund<br />
aller Güter. Welchen Gewinn hat er nicht davongetragen für alle seine Verluste! Das<br />
Erschaffene hat er hingegeben für das Unerschaffene, das Nichts für alles! Alles <strong>ist</strong> ihm<br />
gegeben, nicht in sich, sondern in <strong>Gott</strong>, nicht, daß es von ihm besessen wird, sondern,<br />
daß es von <strong>Gott</strong> besessen wird. Seine Reichtümer sind unermeßlich. Sie sind <strong>Gott</strong><br />
selbst. Er <strong>ist</strong> sein Teil. Er sieht sein Empfängnisvermögen sich erweitern mit jedem<br />
Tage. Er breitet sich in jeder Hinsicht bis in das Unermäßiche aus. Alle seine<br />
Tugenden werden ihm wiedergegeben, jedoch in <strong>Gott</strong>.<br />
Aber ebenso, wie der Mensch nur nach und nach und stufenweise entblößt worden <strong>ist</strong>,<br />
so wird er auch nur nach und nach wieder bereichert und wieder belebt. Je mehr er<br />
sich in <strong>Gott</strong> verliert, desto größer wird seine Empfänglichkeit. Er <strong>ist</strong> jenem Strom<br />
ähnlich, der in eben dem Maße, worin er sich tiefer in das Meer verliert, immer mehr<br />
sich erweitert und verbreitet, so daß er zuletzt unermäßlich wird, da er keine anderen<br />
Grenzen mehr kennt, als <strong>die</strong> des Meeres selbst, dessen sämtliche Eigenschaften er teilt.<br />
Auf gleiche Weise wird auch der Mensch unbegrenzt und unermeßlich. Er hat alles<br />
Mittelbare verloren, denn er steht nun am Ziel.