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Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe

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) Mit Chr<strong>ist</strong>us gestorben<br />

Nachdem der Mensch alles verloren hat, soll er nun auch noch sich selbst verlieren,<br />

indem er gänzlich verzagt, an den Geschöpfen und an sich selbst. Das Gebet bereitet<br />

ihm während <strong>die</strong>ses Standes sehr viel Not. Da er den Gebrauch seiner Kräfte verloren<br />

hat, da darüber hinaus ein gewisser innerer, in den Tiefen seines Grundes verborgener,<br />

unaussprechlicher Friede, der ihm zur letzten Stütze <strong>die</strong>nte, von <strong>Gott</strong> genommen<br />

worden <strong>ist</strong>, so irrt er umher wie ein Waisenkind, das jemanden sucht, der ihm Nahrung<br />

reichen möge. Und er findet keinen.<br />

Es kommt ihm vor, als ob er <strong>die</strong> Gabe des Gebetes überall verloren hätte. Es <strong>ist</strong> ihm<br />

zumute wie solchen, <strong>die</strong> das Gebet niemals besaßen. Der Unterschied <strong>ist</strong> nur, daß <strong>die</strong>se<br />

durch das Entbehren eines Gutes, dessen Wert sie nicht zu würdigen wissen, nicht im<br />

geringsten gerührt werden, während er dessen Verlust auf das schmerzlichste<br />

empfindet. Abgestoßen von dem Ort, wo er sonst jederzeit Trost und Stärkung<br />

gefunden hatte, fühlt sich <strong>die</strong>ser der Mitkreuzigung entgegeneilende Mensch versucht,<br />

zu den Geschöpfen zu flüchten.<br />

Es kann ihm passieren, in einer Art von Verzweiflung, sich auf <strong>die</strong> Dinge<br />

zurückzuwerfen, woran er früher das größte Wohlgefallen gefunden hatte. Er <strong>ist</strong> jedoch<br />

fern davon, ihnen einigen Geschmack abgewinnen zu können. Vielmehr trifft er darin<br />

eine solche Bitterkeit, daß er sich eiligst wieder von ihnen zurückzieht, und nichts<br />

davonträgt, als das schmerzliche Gefühl seiner Untreue.<br />

<strong>Die</strong> Einbildungskraft <strong>ist</strong> ganz und gar verwildert und taumelt umher gleich einem<br />

Betrunkenen. <strong>Die</strong> drei Kräfte der Seele verlieren nach und nach alles Leben. Der<br />

Verstand verfinstert sich. <strong>Die</strong> Erkenntnis verblasst. Der Wille verliert alle Spannung.<br />

Nichts aber wird dem Menschen schwerer und peinlicher aufzugeben, als <strong>die</strong>ses<br />

verborgene Etwas, daß ihm umso unentbehrlicher und wesentlicher vorkommt, je<br />

zarter und köstlicher es ihm gewesen <strong>ist</strong>. Er würde eher alles andere aufgeben, wenn<br />

nur <strong>die</strong>ses unbeschreibliche etwas ihm bliebe. Da er noch nicht zur Unmittelbarkeit<br />

gelangt <strong>ist</strong>, so glaubt er untergehen zu müssen, wenn alles und jedes Mittel ihm<br />

genommen wird, zumal <strong>die</strong>ses letzte und edelste Mittel, daß ihm das Gut zu sein<br />

scheint, dem er bis jetzt zustrebte und der Preis aller seiner Mühen. Was <strong>ist</strong> es denn,<br />

das der Mensch durch so viele Kämpfe und Anstrengungen zu gewinnen meint, wenn<br />

nicht <strong>die</strong>ses Zeugnis im Grunde, da er ein Kind <strong>Gott</strong>es sei? <strong>Die</strong> Blüte und Frucht aller<br />

<strong>Gott</strong>seligkeit <strong>ist</strong> eben <strong>die</strong>se innere Gewissheit.<br />

Trotzdem muß auch <strong>die</strong>ses noch verlorengehen. Hilflos und stützlos muß der Mensch<br />

der Empfindung seines Jammers und Elends preisgegeben bleiben. Und gerade das <strong>ist</strong><br />

es, was einzig und völlig das Sterben des Menschen bewirkt. Bliebe ihm <strong>die</strong>ses

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