Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe
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Aber er haßt sich noch nicht (Joh. 12, 25 und Luk. 14, 26), denn er <strong>ist</strong> schön, obgleich<br />
entblättert.<br />
Von Zeit zu Zeit sieht er mit kläglichem Blick den Freund. Aber er wagt kein Wort zu<br />
sprechen. Er fürchtet, seinen Unwillen zu erregen. Es scheint ihm gering zu sein, so<br />
enthüllt und entblößt zu sein, wenn nur der himmlische Bräutigam nicht zürnte, und er<br />
sich nicht unwürdig gemacht hätte, seine hochzeitlichen Kleider zu tragen. Schon <strong>ist</strong><br />
seine Beschämung unendlich. Er wagt weder vor dem Freunde zu erscheinen, noch vor<br />
den Leuten. Er möchte sich verstecken im Mittelpunkt der Erde. Umsonst.<br />
Er muß hervor. Er muß zur Schau gestellt werden der Erde wie dem Himmel. <strong>Die</strong><br />
Leute staunen. Sie fangen an, ihn weniger zu achten. „Ist das der Mensch“, sprechen<br />
sie, „der noch vor kurzem <strong>die</strong> Bewunderung der Menschen und Engel war? Seht doch,<br />
wie er herabgefallen <strong>ist</strong> von seiner Höhe aus“! <strong>Die</strong>ser arme Verlassene hört sehr genau,<br />
was <strong>die</strong> Leute sagen. Es geht ihm umso tiefer ins Herz, als er sich bewußt <strong>ist</strong>, daß er es<br />
wirklich ver<strong>die</strong>nt habe, so vom Brautigam preisgegeben zu werden. Noch eine Weile<br />
hegt er <strong>die</strong> Hoffnung, daß wenigstens das eine oder andere verhüllende Gewand ihm<br />
wiedergegeben wird, daß wenigstens irgendein alter Lumpen ihm zugeworfen werde,<br />
um sich zu bedecken.<br />
Aber er hofft vergebens. Es <strong>ist</strong> gerade <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong>, <strong>die</strong> unergründliche Barmherzigkeit des<br />
göttlichen Freunds, <strong>die</strong> ihn daran hindert, den leisen Wunsch des <strong>Liebe</strong>nden zu<br />
gewahren. Er weiß, daß der Mensch in seinem Inneren nur so gefördert werden kann,<br />
daß er nur durch <strong>die</strong> äußerste Entblößung von der grundverderblichen Eigenliebe<br />
geheilt werden kann. Um mit <strong>Gott</strong> eins zu werden, <strong>ist</strong> es notwendig, daß auch der<br />
letzte Keim der Eigenliebe in ihm getilgt werde. Darum macht sich der Bräutigam<br />
bereits daran, noch strenger und herber mit ihm zu verfahren.<br />
C. Nun lebe nicht mehr ich.<br />
a) <strong>Die</strong> Entschönung<br />
Es war nur der Anfang, daß der Mensch seiner Zierden beraubt wurde und seiner<br />
Kleidung. Auch seine Schönheit muß er noch verlieren, um so häßlich wie seine Sünde<br />
zu werden. Bisher waren ihm nur <strong>die</strong> außerordentlichen Gnadengaben und Gnaden<br />
genommen worden, danach <strong>die</strong> Kraft und Fähigkeit zum Guten. Er hat jede<br />
lobwürdige Wirksamkeit verloren, das Vermögen zu Bußübungen, zu <strong>Liebe</strong>swerken,<br />
zur Armenpflege. Nur <strong>die</strong> göttlichen Tugenden waren ihm geblieben.