Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe
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natürlich. Er <strong>ist</strong> ihm — man möchte sagen — zur Natur geworden. Was aber <strong>ist</strong> es, daß<br />
<strong>die</strong>sen Menschen von einem anderen, der noch im Menschlichen befangen <strong>ist</strong>,<br />
unterscheidet? Das <strong>ist</strong> es, daß <strong>Gott</strong> es <strong>ist</strong>, der ihn wirken läßt, ohne daß er es weiß,<br />
während früher <strong>die</strong> Natur es war, <strong>die</strong> wirkte. Er tut weder das böse, noch das gute, wie<br />
es scheint, sondern er lebt still, ruhig, zufrieden, und wirkt mit Leichtigkeit und<br />
Behändigkeit das, was man ihn auch wirken läßt.<br />
<strong>Gott</strong> selbst <strong>ist</strong> jetzt sein Seelsorger. Denn in den Tagen seiner Verluste hat er allen<br />
Willen an <strong>Gott</strong> verloren, so daß er jetzt durchaus keinen Eigenwillen mehr hat. Fragt<br />
ihn, was er will, und er wird es euch nicht sagen können. Er kann nicht mehr wählen.<br />
Alle Begehrlichkeit <strong>ist</strong> ihm genommen. <strong>Die</strong> Welt <strong>ist</strong> ihm gekreuzigt, und er der Welt.<br />
Denn, weil er im All <strong>ist</strong>, und im Zentrum, so verliert das Herz alle Neigung,<br />
Strebsamkeit und Wirksamkeit, wie es auch allen Widerwillen verliert, und alle<br />
Widerspenstigkeit. Der Strom im Meer hat keinen eigenen Hang mehr. Er schlägt<br />
keine Wellen mehr. Er <strong>ist</strong> in <strong>die</strong> Ruhe <strong>Gott</strong>es eingegangen und am Ziel.<br />
Aber, was <strong>ist</strong> denn <strong>die</strong> Genügsamkeit, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Menschen so ganz ausfüllt und ihm so<br />
überschwänglich genügt? Was für eine andere soll es denn sein, als <strong>die</strong> Genügsamkeit<br />
des Glückseligen und Allgenügsamen selber, <strong>die</strong> allgemeine, unermeßliche, über alles<br />
Wissen und Begreifen erhabene. Gefühle, Geschmäcke, Gewichte, besondere<br />
Ansichten sind dem Menschen genommen. Er wird weder von der <strong>Liebe</strong> berührt, noch<br />
von der Erkenntnis, noch vom Verständnis. Jenes etwas, das ihn früher beschäftigte,<br />
ohne ihn zu beschäftigen, <strong>ist</strong> jetzt nicht mehr. Es blieb dem Menschen nichts übrig, als<br />
das Nichts.<br />
Aber <strong>die</strong>se Unempfindlichkeit <strong>ist</strong> eine ganz andere, als jene des Todes, des Grabes, der<br />
Verwesung. Damals war sie eine Beraubung des Lebens und jeder Lebensregung, ein<br />
Ekel, eine Scheidung, ein Unvermögen des Sterbenden und eine Gefühllosigkeit des<br />
Toten. Jetzt dagegen <strong>ist</strong> sie eine Erhebung über alle <strong>die</strong>se Dinge, <strong>die</strong> ihm nichts raubt,<br />
sondern ihm alles unnütz macht. Ein Toter <strong>ist</strong> aller Lebensverrichtungen unfähig<br />
infolge der Abspannung, <strong>die</strong> dem Sterbenden, oder der Todesstarre eigen sind. Ist er<br />
aber auferstanden in Herrlichkeit, so <strong>ist</strong> er voll Leben ohne <strong>die</strong> Mittel, durch den<br />
Gebrauch der Sinne sich das Leben zu erhalten, erhaben über <strong>die</strong> Mittel durch den in<br />
ihm lebendig gewordenen Keim der Unsterblichkeit, empfindet er nicht, was ihn<br />
belebt, wo er in der Fülle das Lebens steht.<br />
Solange wir noch einen Geschmack an <strong>Gott</strong> haben, er sei so schwach wie er wolle,<br />
solange wir noch Wechsel des Verlangens und der Befriedigung empfinden, der<br />
Einsenkung und