Madam Guyon - Die geistlichen Stroeme - Gott ist die Liebe
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Er möchte sich waschen, sich bleichen sich reinigen, aber er hat sich kaum gewaschen,<br />
als er sich schon wieder einbildet, zurückgefallen zu sein in einen noch ärgeren und<br />
zäheren Schlamm als den, aus dem er sich soeben herausgearbeitet hatte.<br />
Der Ärmste sieht nicht, daß bloß sein allzu schnelles Laufen daran schuld <strong>ist</strong>, daß er<br />
sich beschmutzt, daß er sich dreckig macht, daß er so oft strauchelt und fällt, daß aber<br />
eben <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong> ihn mit solcher Macht fortreißt und seinen Fortgang dermaßen<br />
beflügelt, daß er nicht acht auf <strong>die</strong>se Dinge haben kann, worüber er fällt und strauchelt.<br />
Er <strong>ist</strong> dadurch aber so beschämt, in so einem Zustand laufen zu müssen, daß er kaum<br />
weiß, wohin er sich wenden soll. Er geht einher mit ganz zerrissenen Kleidern. Er läuft<br />
und rennt so schnell, daß ihm im fliegenden Lauf ein Gewand nach dem anderen<br />
entfällt.<br />
Sein himmlischer Bräutigam hilft ihm aus zwei Ursachen, sich zu entkleiden und zu<br />
entblättern. einmal, weil er seine Kleidung beschmutzt hat, seine schöne, zierliche<br />
Kleidung, durch jene eitle Selbstgefälligkeit, und weil er sich <strong>die</strong> Gaben <strong>Gott</strong>es<br />
angeeignet hat, durch so viele selbstsüchtige Rückblicke auf sich selbst; zum anderen,<br />
weil er durch <strong>die</strong> Last der Kleidung in seinem Lauf aufgehalten würde. Selbst <strong>die</strong><br />
Furcht, so viele Kleino<strong>die</strong>n zu verlieren, würde ihn dazu bewegen, langsamer zu laufen.<br />
Armer <strong>Liebe</strong>nder, was <strong>ist</strong> aus dir geworden! Der du früher <strong>die</strong> Lust deines<br />
himmlischen Bräutigams warst, welcher alles daran setzte, dich zu schmücken und zu<br />
verschönen: wie gehst du jetzt einher, so nackt und bloß, so abgerissen und armselig,<br />
daß du weder dich selbst anzusehen wagst noch vor ihm dich sehen zu lassen. Alle<br />
Leute, <strong>die</strong> dich früher gesehen haben, <strong>die</strong> dich so sehr Bewunderten in deiner Schöne<br />
und in deinem Schmuck, sind ganz erstaunt, dich so zerlumpt zu finden. Sie glauben,<br />
daß du <strong>die</strong> allerschweresten Verbrechen begangen haben mußt, denn nur <strong>die</strong>se<br />
könnten den himmlischen Bräutigam bewogen haben, dich zu verlassen. Sie ahnen<br />
nicht, daß <strong>die</strong>ser eifersüchtige Bräutigam, der den Menschen nur um seiner selbst<br />
willen liebt, sobald er wahrgenommen hatte, daß seine Braut sich nur mit ihren<br />
Zierden beschäftigte, daß sie sich in ihnen bewunderte und bespiegelte, daß sie anfing,<br />
mit sich selbst zu liebäugeln, daß sie manchmal aufhörte, den Bräutigam anzublicken,<br />
um nur sich selbst zu betrachten, daß <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong>, <strong>die</strong> sie auf sich selbst vergeudete, der<br />
<strong>Liebe</strong> zu dem Bräutigam Abbruch tat, daß er nur deshalb sie entblößte und ihr alle<br />
Reize und Zierden vor ihren Augen verschwinden ließ.<br />
Wenn der Mensch in der Fülle seiner Güter sich befindet, hat er ein Vergnügen daran,<br />
sich selbst zu betrachten. Er sieht an sich selbst Liebreize, <strong>die</strong> seine <strong>Liebe</strong> sich selbst<br />
zuwenden und <strong>Gott</strong> entziehen. So ein Tor! Er sieht nicht, daß er nur mit der Schönheit<br />
des Bräutigams schön <strong>ist</strong>, und daß, wenn <strong>die</strong>ser sie ihm wieder raubt, er so häßlich<br />
werden würde, daß es ihn vor sich selber grauen würde. Er versäumt es, dem<br />
Bräutigam zu folgen auf seinen Wegen durch <strong>die</strong> Wüste, durch <strong>die</strong> Felder und Wälder.<br />
Er fürchtet, seine Farben zu verderben, seine schönen weißen Kleider zu bestaunen<br />
und seine Kleino<strong>die</strong>n und Geschmeide zu verlieren.