Winter/zima 2007/2008 - Pavelhaus
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Über die ,Fruchtbarkeit‘ von Grenzen<br />
Mit den bisherigen Hinweisen ist die<br />
Komplexität des Begriffs Grenze<br />
offengelegt. Im Umraum Grenze liegen<br />
jene für den Menschen so wichtigen<br />
Möglichkeiten der Erkenntnis, die<br />
Erfahrung als symbolischer Ort, die<br />
schöpferische Spannung, die das<br />
Hervorbringen von Kunst ermöglicht. In<br />
all diesen Potentialen kommt das<br />
Phänomen der Dynamik hinzu: die<br />
Bewegung, ein Unterwegssein wird zur<br />
Grundeigenschaft des Menschen.<br />
Über die ,Fruchtbarkeit‘ von Grenzen<br />
+ Markus Jaroschka<br />
Es mag ein wenig merkwürdig erscheinen, wenn man in Erörterungen über das Thema Grenze<br />
auch von der „Fruchtbarkeit“ von Grenzen spricht. Allzu sehr sind wir gewohnt, dass Grenze<br />
mit Abgrenzung zu tun hat, mit einem impliziten negativen Beigeschmack wie Staatsgrenze, Besitzgrenze,<br />
Sprachgrenze, Schmerzgrenze, Grenzen durch Behinderung, Grenze des Intimen und<br />
Schutz und Grenze vor dem Unbekannten, dem Fremden. Politisch, philosophisch und kulturell<br />
hat das Thema „Grenze“ in Europa eine lange Geschichte...<br />
Der bekannte bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan verweist in einem Essay mit dem Titel<br />
Zur Grenze im Buch „Poetik der Grenze“ 1 auf einen in der Kulturgeschichte schon lange bekannten<br />
Umstand hin, der im engeren Sinne auch die Kunst im Blick hat, wonach im Zusammenhang<br />
mit ,Grenze‘ immer vielerlei Aspekte mitschwingen, „als Metapher für eine mögliche Form<br />
von Erkenntnis, als Ort außergewöhnlichen symbolischen Potentials, als universalgeltendes Symbol<br />
für Spannung, die per definitionem fruchtbar ist, als eine dramatische Figur par excellence…“.<br />
Mit dieser interessanten Kennzeichnung Grenze als Symbol für Spannung, die sich als fruchtbar<br />
erweist, ist der Schlüsselbegriff gefallen. Denn Grenze beinhaltet in den genannten Umschreibungen<br />
immer einen Umraum, einen Grenzraum, in dem neue Erkenntnisse, schöpferische Potentiale,<br />
Orte der Begegnungen, Spannung für Veränderungen ,fruchtbar‘ möglich sind.<br />
In genauer Kenntnis der europäischen Kunst verweist Dževad Karahasan in diesem Zusammenhang<br />
auf einen grundlegenden Befund im künstlerischen Schaffen, wonach Grenze eine sehr genaue<br />
Metapher für die Objektivität der klassischen Kunst sei eine Objektivität, die keineswegs<br />
desinteressiert und dennoch eine wahre und unvoreingenommene sei, eine Objektivität, die das<br />
Gegenteil der Neutralität sei. Nach diesen grundsätzlichen Umschreibungen des kulturhistorisch<br />
so schwierigen Begriffs Grenze kann Dževad Karahasan gleichsam definitorisch die aufgeworfenen<br />
Aspekte zusammenfassen: „Grenze ist nämlich pure Objektivität, denn es sind zwei Identitäten,<br />
die in jeder Grenze zusammentreffen, gleichermaßen für sie konstitutiv und gleichermaßen<br />
präsent. In der Grenze begegnen einander zwei Einheiten des Raumes, oder zwei Einheiten<br />
der Zeit, oder zwei Einheiten des Sinns, kurzum zwei Identitäten gleicher Art. Beide Identitäten<br />
1 Literaturhinweis: Poetik der Grenze. Über die Grenzen sprechen Literarische Brücken für Europa , Herausgeber: Dževad Karahasan/<br />
Markus Jaroschka, Edition Literatur, Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 2003.<br />
Markus Jaroschka<br />
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