Winter/zima 2007/2008 - Pavelhaus
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Eintragung Maribors in die Landkarte der europäischen Kultur<br />
Eintragung Maribors in die Landkarte der europäischen Kultur<br />
Maribor angeblich 250 Millionen Euro schwer<br />
war, und sie war durch die gemeinsame Bewerbung<br />
der Partnerstädte „veredelt“. Maribor ist<br />
der Projektträger für die Kulturhauptstadt,<br />
am Projekt nehmen aber auch Murska Sobota,<br />
Slovenj Gradec, Velenje, Ptuj und Novo Mesto<br />
teil - sechs Partner mit fast einer Million Einwohnern.<br />
Maribor fungiert als Kapitän eines<br />
Teams, welches die benachteiligte und relativ<br />
unbekannte slowenische Ostregion für ein gemeinsames<br />
Ziel zusammenschließt. Das hat<br />
den europäischen Bewertern gewiss imponiert<br />
– Regionen sind ja Gesetz im vereinten Europa.<br />
Als Draufgabe ist Maribor mit diesem Zusammenschluss<br />
den staatspolitischen Absichten<br />
der slowenischen Regionen in einem zentralistischen<br />
Staat mit Ljubljana einsam an der Spitze<br />
zuvor gekommen.<br />
Der Vorschlag von Maribor soll über bloße<br />
kulturell-künstlerische Horizonte hinausgehen,<br />
hat er gesellschaftlich doch den größten<br />
Sinngehalt. Die Betonung liegt auf Tradition<br />
und modernsten Kommunikations- und Ausdrucksformen,<br />
hebt die ökologische Dimension<br />
und hohe technologische Entwicklungsstandards<br />
hervor, lokal und global, vor allem aber<br />
setzt Maribor auf die kreative Spitzenstellung,<br />
die nicht durch Genre, Generation, Kultur,<br />
Ästhetik usw. bestimmt ist. Die Stadtverwaltung<br />
hat die Ausarbeitung der Bewerbungsunterlagen<br />
dem – einst sagte man sowohl im<br />
kulturellen als auch im gesellschaftlichen Sinn<br />
alternativen – Kibla („Kübel“), dem Kybernetischen<br />
Laboratorium, überlassen. Es soll in<br />
Maribor in den zehn Jahren seines Bestehens<br />
die besten Erfahrungen im Flüssigmachen europäischer<br />
Gelder für ziemlich neue, sogar experimentelle<br />
Projekte haben. Auch jetzt gab es<br />
einen Volltreffer.<br />
Doch der Konkurrent von Maribor, die<br />
Hauptstadt Ljubljana nämlich, hat die Niederlage<br />
nicht gerade sportlich hingenommen.<br />
Die Rivalität zwischen Maribor und Ljubljana<br />
ist bekannt, ähnlich jener in Österreich zwischen<br />
Graz und Wien. Doch ist es kein Zufall,<br />
dass Graz zur europäischen Kulturhauptstadt<br />
gewählt wurde und nicht Wien. Europäische<br />
Kräftehaben nämlich ein Auge darauf, dass<br />
in die europäische Kulturlandkarte eher einige<br />
Städte aus der zweiten Reihe und nicht<br />
die Hauptstädte eingetragen werden. So waren<br />
in der Vergangenheit außer Graz Brügge<br />
und nicht Brüssel, Lille und nicht Paris, Edinburgh<br />
und nicht London zu europäischen<br />
Hauptstädten auserkoren worden. Jetzt soll<br />
es Maribor und nicht Ljubljana werden. Und<br />
so machte auch der temperamentvolle Bürgermeister<br />
von Ljubljana, Zoran Janković, die Anmerkung,<br />
die Auswahl Maribors sei lediglich<br />
eine kulturpolitische Dezentralisierung Sloweniens<br />
gewesen. Er kündigte sogar Schritte<br />
bei der Regierung an, um die Entscheidung<br />
für Maribor zugunsten von Ljubljana zu ändern.<br />
Die Entscheidung der Kommission ist<br />
nicht unbedingt verpflichtend. Es gelang ihm<br />
nicht, womöglich auch deswegen, weil der<br />
neue Bürgermeister von Ljubljana nicht nach<br />
dem Geschmack der gegenwärtigen Machthaber<br />
ist, und auch der neue Bürgermeister von<br />
Maribor ist es nicht ganz. Zum Glück wagte es<br />
die Regierung nicht, in die Entscheidung der<br />
Kommission einzugreifen. In Slowenien geschieht<br />
es selten, dass in einem praktisch unnötigen,<br />
doch symbolhaften Kräftemessen die<br />
Metropole Ljubljana dicke Krokodilstränen<br />
vergießt, über ihr hartes Schicksal jammert<br />
und vor Jähzorn wie eine zu Unrecht verstoßene<br />
Provinzlerin zappelt. Da ich aus Maribor<br />
bin, kann ich zum Trost nur sagen: na und?<br />
Wenn euer Projekt so gut ist, und es ist zweifellos<br />
sehr gut, soll es Ljubljana doch verwirklichen,<br />
auch wenn es nicht die europäische<br />
Hauptstadt wird. Es gibt nie zuviel Kultur.<br />
Und mit der Kultur könnte die Stadt Ljubljana<br />
zu üben anfangen, zum Beispiel indem sie<br />
Maribor zum fairen Spiel und zum Sieg gratuliert.<br />
Das ging leider daneben. Doch Trost ist<br />
nahe: Im ersten Halbjahr nächsten Jahres wird<br />
Ljubljana zur politischen Hauptstadt Europas<br />
und Slowenien wird als erstes unter den neuen<br />
Mitgliedern den Vorsitz der Europäischen<br />
Union führen.<br />
Um nicht nur Ljubljana mit Ratschlägen zu<br />
versorgen, habe ich auch eine Idee für Maribor.<br />
Hier könnte man genauso wie die Partnerstädte<br />
auch die umgebenden Minderheiten einbeziehen:<br />
Slowenen in Ungarn und Ungarn aus<br />
dem Übermurgebiet, Roma, Slowenen in der<br />
Steiermark und in Kärnten sowie Gottscheer<br />
Deutsche. Im Kibla verweist man stolz darauf,<br />
dass zu den Veranstaltungen schon jetzt<br />
sowohl älteres als auch jüngeres Publikum<br />
kommt, sogar Kinder, Menschen unterschiedlichster<br />
Nationen, sozialer Schichten und sexueller<br />
Orientierungen sowie Randgruppen.<br />
Maribor hat jedenfalls die einmalige Chance,<br />
der Selbstbemitleidung, der Suche nach den<br />
Schuldigen für seine Schwierigkeiten zu entkommen,<br />
herauszufinden aus dem Gemütszustand,<br />
den man einst Industriewüste und<br />
Kulturgrau nannte. Der Dichter Andrej Brvar<br />
aus Maribor schrieb einmal über diese Stadt,<br />
dass sie im zwanzigsten Jahrhundert dreimal<br />
ihre Identität verloren habe: Nach dem Ersten<br />
Weltkrieg hatte sie mit dem Massenexodus<br />
der Deutschsprachigen eine bedeutende<br />
nationale Komponente verloren. Nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg verschwand die charakteristische<br />
Zusammensetzung der Bevölkerungsschichten<br />
und nach der Verselbstständigung<br />
Sloweniens büßte die Stadt ihre Industrie und<br />
damit die Charakteristik der Arbeiterschaft<br />
ein. Einkaufszentren, Fußball, Feste und Karnevals,<br />
die bisher die Identität der Stadt und<br />
die ewige Krise der Übergangszeit überdeckten,<br />
werden so eine inhaltliche Alternative<br />
bekommen. Damit ein neues Selbstbewusstsein<br />
geschaffen wird, muss man allerdings<br />
jetzt schon die Ärmel aufkrempeln und darf<br />
nicht warten, bis das Jahr 2012 anbricht.<br />
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