J ... I - Digitale Bibliothek Braunschweig
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ihrerseits nicht viel mehr zu bieten wußte als gutes Essen". Dies entspricht dem Urteil von<br />
Thielaus: "Die Herzogin Philippine Charlotte war bornierten Verstandes und dabei im<br />
hohen Maße stolz auf ihre Abkunft und ihren glorreichen Bruder, mit dem sie in geistiger<br />
Hinsicht nicht verwandt war".<br />
Der Abbe Baron, ein französischer Geistlicher, der sich in den Jahren 1789/90 in<br />
<strong>Braunschweig</strong> aufhielt, schildert Persönlichkeit und Lebensstil der Herzogin folgendermaßen:<br />
"Die Herzogin-Mutter hat viel Charakter und Entschlossenheit. Sie vergißt keinen<br />
Augenblick ihren Rang, läßt sich von den Damen die Hand küssen und von den Kavalieren<br />
das Kleid. Sie ist voller Bewunderung in der Erinnerung an ihren Bruder Friedrich H. Niemals<br />
spricht sie davon ohne Rührung. Ihr Hof ist in der ausgesuchtesten Art und mit aller<br />
möglichen Repräsentation geführt, obgleich ihr Einkommen keine 130 bis 140.000 Livres<br />
übersteigt. Wenn diese Prinzessin den Glanz liebt, so liebt sie auch gut zu essen. Ihr Tisch ist<br />
sicherlich der beste in <strong>Braunschweig</strong>, denn nur hier kann man gute Suppe essen und allgemein<br />
guten Wein trinken. "109) Zu ihrem Äußeren bemerkte Baron: "Sie erfreut sich noch<br />
sehr guter Gesundheit. Sie geht mit viel Leichtigkeit, hält sich sehr aufrecht, ist immer stark<br />
geschmückt, denn sie liebt Repräsentation ungemein. Niemals habe ich sie während der 18<br />
Monate einen Augenblick krank gesehen oder ihren Appetit verlieren". Über ihren gesellschaftlichen<br />
Umgang und ihre geistigen Interessen bemerkt der Abbe: "Diese Prinzessin<br />
liebt besonders die Unterhaltung gelehrter Männer; auch habe ich oft bei ihr gespeist mit 2<br />
Professoren der Akademie oder dem Pastor ihrer Gemeinde. Sie ist eine große Politikerin,<br />
spricht über Nationenrechte, über ihre gegenseitigen Interessen, über verschiedene Verträge<br />
mit ziemlicher Kenntnis. Ihre bevorzugten Themen sind indessen die Moral, die<br />
Theologie und selbst die Metaphysik. Unsere gesamte Literatur ist ihr vollkommen<br />
bekannt [ ... ] . Jeden Nachmittag verbingt sie eine halbe Stunde an ihrem Cembalo. Jeden<br />
Tag läßt sie sich die literarischen Neuerscheinungen vorlesen, ebenso viele französische wie<br />
deutsche. Sie spricht viel besser französisch als deutsch, oder, um die Wahrheit zu sagen, sie<br />
spricht fast nur französisch und das sehr gut." Der Abbe war während seines Aufenthaltes<br />
in <strong>Braunschweig</strong> derart in der Wertschätzung der alten Herzogin gestiegen, daß sie ihm bei<br />
seinem Abschied ein "dejeuner de porcelaine" (Frühstücksgedeck) schenkte. Baron<br />
bemerkt dazu, daß dies "jeden erstaunte, da sie nicht als sehr großzügig gilt. Das ist ein<br />
Charakterfehler der gesamten preußischen Königsfamilie, mit Ausnahme - wie man sagtdes<br />
gegenwärtigen Königs, ihres Neffen" .110)<br />
Die wohl letzte Schilderung der äußeren Erscheinung der alten Herzogin kurz vor<br />
ihrem Tode verdanken wir der Gräfin Katharina Bueil, die 1798 als Elf jährige mehrmals<br />
mit der Herzogin in <strong>Braunschweig</strong> zusammentraf. 111) Über eine Begegnung im herzogli-<br />
1(19) vgI. Anm. 25. - S. Stern, Karl Wilhelm Ferdinand. Herzog zu <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg,<br />
1921, p. 260f. übersetzte schon einen Teil des Textes bei Baron, der die Herzogin Philippine<br />
Charlotte betraf.<br />
110) Der Neffe war König Frieclrich Wilhelm 11. von Preußen (17H6-1797).<br />
111) Katharina Freifrau v. Bechtolsheim, geb. Gräfin Bueil: Erinnerungen einer Urgroßmutter.<br />
Herausgegeben von Carl Graf Oberndorf. Berlin 1902; darin Kap. IV: <strong>Braunschweig</strong>er Bekanntschaften,<br />
p. 72ff.<br />
80<br />
<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />
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