Sozialpolitik in unserer für ihn zu unkritischen Gesellschaft, in der sich derGedanke des Wohlfahrtstaats und der Sozialfürsorge aufzulösen scheint.Roger Willemsen äußert sich dementsprechend über Politik im Fernsehen wiefolgt: „Der Privatsender weiß, je höher die Quote ist, umso höher ist dieWerbeeinnahme. Also hab ich ein Motiv, Politik so aufzubereiten, dass die Quotemöglichst hoch ist. Deshalb erreicht das Politische in einer politischen Sendungzwangsläufig seine Grenzen in dem Augenblick, in dem sie die Verkäuflichkeitnachweisen muss“ (Heinz, 2002, „30 Jahre Talkshow“).Schlingensief, der zwar seine Sendungen ohne kommerziellen Hintergedankenproduziert und sich durch seine Konzeption nicht um die Einschaltquoten kümmernmuss, macht politische Sendungen im Rahmen typischer quotenträchtigerUnterhaltungssendungen, in dem er eben diese Grenzen, von denen Willemsenspricht, bewusst überschreitet. Er erkennt den Trend, dass Politik in einempolitischen Talk bzw. im Fernsehen heutzutage generell so zubereitet werdenmuss, dass sie unterhaltungswert besitzt, und verwendet die dazu notwendigenMittel und schon vorhandenen Oberflächen, um Menschen zu erreichen, die sichansonsten nicht mit politischen Themen auseinandersetzen. Hierbei sind auch dieKanäle über die die schlingensiefschen Projekte laufen von Bedeutung, wie es dieBundeszentrale für politischen Bildung am Beispiel von Freakstars 3000, welchessie unterstützte, deutlich macht: „Bei dem Projekt Freakstars war esselbstverständlich wichtig, dass die Sendungen über VIVA ausgestrahlt wurden, daes für die „bpb“ um die Erreichung dieses Publikums mit Mitteln der politischenBildung ging“. 23Schlingensief sieht sich jedoch selbst nicht als Politiker, sondern eher als Mensch.Er fühlt sich auch nicht als Provokateur, sondern als eine Person, die über dieGesellschaft, in der sie lebt, reflektiert, und somit sind seine Arbeiten Reflexe undgeschehen aus sozialem Anlass.23 Herr Ehmke von der „bpb“ im Interview vom 28.5.03 siehe Anhang109
So wie eine „Illona Christen“ oder ein „Hans Meiser“ einfache, unprominente undSchicksalsgebeutelte Studiogäste mit ihren zielgerichteten, zugespitzten Fragendazu bringen, sich und ihr soziales Umfeld peinlich und beschämend darzulegen,um eben meistens doch nur eine entblößt- blamable Figur abzugeben, willSchlingensief dieses Konzept mit prominenten Leuten durchspielen, um diese zudemaskieren und bloßzustellen. Diese sind aber auch Identifikationsfiguren und inder Gesellschaft anerkannt und als solche will er sie auch desavouieren. BettinaFromm stellt die Frage, „ob dem Fernsehen als einer überpersönlichen Strukturmehr Vertrauen entgegengebracht werde als realen Bezugspersonen?“, (1999,S.13) und so verwendet Schlingensief das Medium Fernsehen nicht um desErfolges seiner Selbst Willen, sondern paradoxerweise, um der wahren Realitätmehr Glaubwürdigkeit, Ernsthaftigkeit und Deutlichkeit zu verleihen, aber auchzeitgleich dieses fast blinde Vertrauen der Fernsehnutzer in das Medium selbst zukritisieren.Schlingensief ist Voyeur, Kritiker und Sadist, aber auch Exhibitionist, Samariter undMasochist, gleich ob als Medienakteur, einfacher Rezipient oder als er Selbst. Alleseine Aktionen basieren auf einem von ihm vernommenen Notruf einer sozialenund politischen, realen Disharmonie, die sich für ihn auch in den Medienwiderspiegelt, entweder durch eine simulierte Harmonie in einer virtuellen Realitätoder durch einfaches Verschweigen verdrängter Probleme in einem Wust vonQuotenbedachten Shows und möglichst simpler Unterhaltung. Also geht es ihm umdie Verantwortung der Medien nicht um ihre Abschaffung. Er macht sich <strong>zum</strong>Notarzt, der mit seinem Operationsbesteck der Provokation eventuelleAmputationen in der Fernsehwelt vornehmen muss, um die erhoffte, aberunwahrscheinliche Heilung doch noch zu ermöglichen.Christoph Schlingensief reagiert auf den immer mehr aufkommenden Hedonismusin unserer Gesellschaft in einer Zeit, da Geld und Freizeit nur noch für das eigeneVergnügen ausgegeben und verwendet werden. Das Leben wird nur noch nachdem eigenen Lustprinzip ausgerichtet, gleichzeitig verbunden mit der Angst vorArbeitslosigkeit und sozialer Ächtung. Man kümmert sich im Gegensatz zu den110
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nur einen für meine Zwecke ausreic
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II. Zum „performativen Realitäts
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Einleitung„Babysitter der Moderne
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Seit der ersten richtigen Talkshow
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I. Normative Muster schlingensiefsc
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„Lindenstrasse“, die er als zum
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seine Theaterstücke und Filme inte
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Er lässt aus mehreren Personen ein
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„Friedenshase“ bezeichnet. Schl
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Mit diesem Format versucht Schlinge
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Mit Argwohn betrachtet Schlingensie
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Zudem beinhaltet „Freakstars 3000
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folgenden Worten seine Unterstützu
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Castingshow“ sowie „Beziehungs-
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darzustellen, die das Gewohnte der
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2.2.1 Zur Klassifizierung der „Ta
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Pannen, der lustigsten Auftritte un
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Die aktive Vermittlung einer einzig
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Der Erfinder der Reality-Soap „Bi
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Mischung fiktionaler und dokumentar
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unkommentiert dargeboten werden, so
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