3.3 Kurze Auswertung des InterviewsDas Fernsehen täusche nur Wirklichkeit, so Schlingensief, das Medium simulierenur die Realität, um die Zuschauer zu binden und sie zu unterhalten. Unabhängigdavon, ob die Rezipienten sich dieser Simulation bewusst sind oder nicht, wird„Reality TV“ vom Publikum lebhaft nachgefragt. Schlingensiefs Arbeit bietet keinenkein Katalog mit Lösungsvorschlägen, vielmehr zeigt sie lediglich seine Sichtweisezu bestimmten Themen, die von aktuellem Interesse sind. Wie er einräumt,könnten solche Sichtweisen durchaus auch einmal zur Produktion von Unsinnführen.Seine TV- Projekte sprechen für sich, vor allem auf dem Hintergrund desFernsehbooms, auf den sie sich immer wieder beziehen. Aus diesem Grundbenötigen sie nicht immer auch noch eine spezielle Erläuterung, so Schlingensief,wobei seine Projekte ohnehin nicht immer zu Ende gedacht seien. Dabei überlässter vieles dem Publikum, das letztlich sowieso darüber entscheidet, was es siehtund sehen will. Er spiegele nur wider, er präsentiere nur das, was ohnehin schonvon allen gesehen werde. Schlingensief bietet demnach Massenkultur in Reinformund wirkt gerade dadurch erst provokativ. Die so zu Stande kommendeProvokation erweist sich beim näheren Hinsehen als eine Produktion derProvokateure selber.Schlingensief, der den Fernsehanstalten am liebsten „den Saft abdrehen“ würde,spricht davon, das Fernsehen habe ihn als Kind missbraucht. Ist dieseEinschätzung zutreffend, so darf vermutet werden, dass Schlingensief seinerseitsdas Medium Fernsehen für seine Zwecke missbraucht.Er definiert die Fernsehwelt als einen Wertefreien Raum und markiert damit denpessimistischen Höhepunkt in der öffentlichen Diskussion um den Werteverfall imdeutschen Fernsehen. Jeglicher Optimismus scheint ihm hier fehl am Platze. Hierpflichte er dem deutschen Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bei, wenndieser formuliere, dass das Fernsehen längst schon <strong>zum</strong> „Nullmedium“ geworden71
sei – Fernsehen ist also nicht länger Lieferant von Bildung, Information undKulturgütern. Es geht nicht mehr darum, was gesendet wird, sondern wie, wann,wo und durch wen dies geschieht. Bei all der fortschreitenden Technisierung undVermarktung erreicht das Fernsehens einen Zustand der „Programmlosigkeit“, mitdem sich die „Fernsehteilnehmer“ offenbar zufrieden. Nach EnzensbergersEinschätzung geht es im Fernsehen nicht mehr um die Produktion vonBedeutungen, sondern um eine Programmillusion, sowohl was dieInformationsvielfalt, die Objektivität und die Menschlichkeit als auch die kulturelleBildung betrifft. Andererseits hält Enzensberger fest, dass das Fernsehenmittlerweile von den meisten Nutzern angeschaltet wird, um abzuschalten, was fürihn heißt sich einer Sinnlosigkeit hinzugeben, die zugleich einer befreiendenPsychotherapie nahe kommt, in der man aus einer „vollkommenen Leere“ Kraftschöpft. (Enzensberger, 1988)Prominente Gäste werden bei Schlingensief instrumentalisiert, sie werdenausgewählt, um ein möglichst großes Publikum zu akquirieren, und zugleichwerden sie negieren und gleichzeitig ihrer Masken beraubt. Schlingensiefmissbraucht sie für seine Zwecke, wie dies die Manier der Daily Talk Shows ist,mit dem einzigen Unterschied, dass es sich dort vorwiegend um unbekannte Gästehandelt und nicht um Prominente. Schlingensief spricht ein Problem in unsererGesellschaft an und sucht sich dementsprechend Menschen, die dieses Problemverkörpern. Dem herkömmlichen Fernsehbetrieb lastet er an, das dort mitprominenten wie mit unbekannten Gästen umgegangen wird wie mit Waren undProdukten, zugleich aber verfährt er selber so, indem er das, was er hier kritisiert,in seinem eigenen Formaten bewusst kopiert. Ausnahmen macht er offensichtlichdort, wo es sich bei seinen Gästen, um persönliche Freunde oder um solcheProminente handelt, die seiner Wertschätzung sicher sein könne oder ihn in seinerArbeit unterstützen.Oft ist es eher das Ästhetisch-Formale schlingensiefscher Projekte und nicht sosehr der Inhalt bzw. die Thematik, was die Rezipienten als provokativ empfinden,denn inhaltlich spiegelt Schlingensief ohnehin nur die virtuelle Realität wider, zitiert72
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nur einen für meine Zwecke ausreic
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Einleitung„Babysitter der Moderne
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Seit der ersten richtigen Talkshow
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I. Normative Muster schlingensiefsc
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„Lindenstrasse“, die er als zum
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seine Theaterstücke und Filme inte
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Er lässt aus mehreren Personen ein
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„Friedenshase“ bezeichnet. Schl
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