Grausamkeiten, Ungerechtigkeiten und kollektivem Vergessen politischer,gesellschaftlicher, zwischenmenschlicher und kultureller Missstände in unseremAlltag, die sich seiner Meinung nach eben auch im Fernsehen sträflichwiderspiegelt.Bettina Fromm teilte die TV-Auftritte von Talkshowgästen in verschiedenekollektive Sinnmuster ein (siehe Teil III, 2.2.4), wobei Schlingensief mit untermehreren dieser angesprochenen Typengruppen entspricht – wie Patient, Rächer,Ideologe, Propagandist, Anwalt, Verehrer und Fernsehstar.Joseph Beuys ging es um die Erweiterung des tradierten Kunstbegriffs bis hin zueiner „anthropologischen Kunst“, einer Kunstauffassung, in der der Mensch MittelundAusgangspunkt ist. Schlingensief, der diese Auffassung teilt, führt diesesKonzept fort und wagt den Schritt hin zu einem „anthropologischen Fernsehen“. Ermacht Kunst im Fernsehen und humanes Fernsehen mit Menschen für Menschen.Das zeitgenössische Fernsehen besitzt nicht mehr wie früher den Charakter einesVollprogramms für die ganze Familie, sondern pflegt mit seinen Spartenkanälen,ein der Tendenz der Individualisierung des Fernsehverhaltens angepasstesZielgruppenprogramm. Schlingensief ist sich auch dessen bewusst und versuchtunter anderem im Rahmen verschiedener Zielgruppenprogramme wie MTV oderVIVA ein sozial-ambitioniertes Vollprogramm zu bringen. Er macht seineSendungen genau da, wo sie deplaziert erscheinen, um diejenigen ansprechen zukönnen, die sich diesen Themen normalerweise nicht widmen würden. „DasProjekt Freakstars 3000 bot die Möglichkeit, über ein von der Bundeszentraleselbst gestaltetes Laufband, Informationen über das Leben geistig behinderterMenschen an das junge - <strong>zum</strong> Themenkreis eher nicht besondersaufgeschlossene - VIVA -Publikum heranzutragen“ 30 , macht Herr Ehmke von der„bpb“ nochmals deutlich.Früher existierte die so genannte „Fernsehgemeinde“ noch, ein großeseinheitliches Fernsehpublikum. Alle sahen das gleiche, und man konnte davon30 Siehe Anhang Interview mit Herrn Ehmke, Frage 3115
ausgehen, dass man alle erreichte, wenn man etwas über das Medium Fernsehendarbot, <strong>zum</strong>indest diejenigen, die ein Fernsehgerät besaßen. Heute spricht mannicht mehr von einem großen Zielgruppenpublikum, sondern von vielen kleinenZielgruppen mit ganz individuellen Ausprägungen.Allgemeingültige Gesprächsthemen gibt es wohl kaum noch. Fernsehen ist längstnicht mehr ein Medium des Gemeinschaftserlebnisses, sondern vielmehr einMedium der Vereinzelung geworden (Trimborn, 1999).Somit liegt hier auch ein Problem oder vielmehr eine eventuelle Diskrepanzzwischen dem angesprochenen, gewollten Publikum und dem tatsächlicherreichten vor. Es ist mittlerweile fast undenkbar, eine Botschaft, die für dieAllgemeinheit oder für eine bestimmte „Gesellschaftsgruppe“ gedacht ist, mit demso beabsichtigten Effekt medial erfolgreich zu platzieren.Was in Wien erfolgreich funktionierte - nämlich mit einem medial inspirierten,öffentlichen Happening die Politiker, die Touristen, die Presse wie auch dienormalen Wiener und österreichischen Wähler anzusprechen und <strong>zum</strong> regenGedanken- bzw. lautstarken Wortaustausch zu veranlassen -, gelang sinngemäßbei „Talk 2000“ nur bedingt. 31 Da die bei jeder Sendung direkt angesprochenenArbeitslosen eher weniger der Rezipientengruppe dieser Sendung zu zuordnenwaren und diese Talkshow von der Öffentlichkeit ohnehin nur begrenztwahrgenommen wurde, blieb ihr von vornherein die öffentliche Resonanz versagt,die hingegen dem Wiener Happening auf einem belebten hauptstädtischen Platzmit seinen täglichen Presseberichten beschieden war. Vielmehr handelte es sichbei den Rezipienten der Talkshow um eine nur kleine Gruppe, die sich mit jenereher elitär anmutenden Talkshow wirklich auseinander setzte; wenn die Showdann doch noch aufgrund ihrer unkonventionellen und Energiegeladenen Machartvon der Presse aufgegriffen wurde, dann aber lediglich im Feuilleton- Teil einigerweniger Zeitungen.31Hier gelang es Schlingensief, sozusagen Täter und Opfer, Betroffene und nicht so Betroffene indas österreichische, aber auch europäische Bewusstsein des politischen undzwischenmenschlichen Seins zu bringen.116
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François Michel CroissantTelevisio
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nur einen für meine Zwecke ausreic
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II. Zum „performativen Realitäts
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Einleitung„Babysitter der Moderne
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Seit der ersten richtigen Talkshow
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I. Normative Muster schlingensiefsc
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„Lindenstrasse“, die er als zum
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seine Theaterstücke und Filme inte
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Er lässt aus mehreren Personen ein
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„Friedenshase“ bezeichnet. Schl
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Mit diesem Format versucht Schlinge
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Mit Argwohn betrachtet Schlingensie
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Zudem beinhaltet „Freakstars 3000
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folgenden Worten seine Unterstützu
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Castingshow“ sowie „Beziehungs-
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darzustellen, die das Gewohnte der
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2.2.1 Zur Klassifizierung der „Ta
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Streitgespräch wird durch eventuel
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Der Erfinder der Reality-Soap „Bi
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III.Schriftliches Leitfadenintervie
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