4.1.4 Kurze Analyse von „Talk 2000“Schlingensief bietet trotz einzelner wiederkehrenderAspekte in seiner Talksendung denRezipienten keine Möglichkeit sich mit ihm zuidentifizieren, ist also für das Publikum keingeeigneter „Anchor-man“, der es sicher durchdie Sendung führt, wie dies sonst beigewöhnlichen Talksendungen der Fall ist. Denner springt sowohl thematisch als auchrollenspezifisch und emotional innerhalb derSendung zu sehr hin und her, als das eine feste Zuschreibung möglich wäre,wiederum eine gewolltes Stilmittel der Widersprüchlichkeit zur Irritation undVerwirrung der Zuschauer.Wie in vielen seiner „Happenings“ und Fernsehwerken spielt Schlingensief auchbei „Talk 2000“ mit dem Betrachter, der sich fortwährend fragen muss, wo dieInszenierung aufhört und die Wirklichkeit beginnt. Auch die Verknüpfung vonAktion und Reaktion scheint bei „Talk 2000“ bedeutungslos zu werden, derZuschauer wird bewusst im Stich gelassen und ist beim Entschlüsseln auf sichallein gestellt. In Fällen, in denen Schlingensief Wirklichkeit unverändert undunkommentiert transportiert, wird besonders deutlich, wie sehr die Wirklichkeit imsonstigen medialen Kontext inszeniert ist.Man könnte auch dort von einer der vielen Widersprüchlichkeiten sprechen, woSchlingensief mit seiner provokanten Ästhetik eine eher abgehoben-intellektuellenManier die Fernsehöffentlichkeit zunächst eher abschreckt, um sie dann wiederummittels der ihm nicht weniger zur Verfügung stehenden populär-medialenTechniken in den Kreis der Eingeweihten zurückholen. So durchbricht er immerwieder die Mauern des Elitären, die ihn und seine Gesprächspartner nicht seltenumgeben, und bezieht - wie beispielsweise in „Talk 2000“ – die restlichenPublikumsgäste in das Gespräch mit ein.89
Während bei den gängigen Talkshows nur die Privatsphäre der Talksgäste –gleich ob prominent oder unprominent – gezielt offen gelegt wird, ist es beiSchlingensief der Moderator selber, der eigene Intimitäten preisgibt.Bei allem vordergründig revolutionär-provokativen Agieren geht es Schlingensiefdurchaus auch um traditionelle Themen – gegebenenfalls auch reaktionäre – wiedie Familie, die Heimat oder Dimensionen des Religiösen. Bereits nach der erstenFolge seiner Talksendung kommt er auf die Frage zu sprechen, welche Werte denZuschauern - jedem Einzelnen unter ihnen – noch wichtig seien. Um sein Anliegenzu erläutern, bezieht er sich hier ausdrücklich auf Joseph Beuys und dessenFormulierung „Mein Fett, mein Filz, mein Hase“, womit jener umriss, was für ihnvon großer, persönlicher Bedeutung war. Schlingensief kritisiert den Verlust desWertes „Familie“ in einer Gesellschaft, in dem Privatsphäre nur noch bedingtvorhanden ist: „Wir wollen wieder zurückfinden zu uns selber, wir wollen wiederprivat werden […], ich werde nicht übers Poppen reden, ich werde nicht überGeschlechtskrankheiten reden, sondern ich will einfach, dass es wieder familiärwird,[…]was sind meine privaten Dinge, die mir wirklich noch was wert sind?“ (Talk2000) Er propagiert eine Veränderung, eine Neuausrichtung von Talkshows, umsie im gleichen Augenblick wieder zu verwerfen – eine Dialektik, die letztlich dieNotwendigkeit des intendierten Veränderungsprozesses untermauert (auch erredet eben doch über „Sex“ und Geschlechtskrankheiten…). Das an einKreuzverhör erinnernde Gespräch mit Beate Uhse, von dem oben schon die Redewar, stellte in diesem Falle nicht auf Entertainment ab, sondern hatte einenaufklärerischen Impetus in Bezug auf Beate Uhse (vgl. Heinz / 2003) und dientezugleich auch der Demaskierung und Entschleierung von medialer Unterhaltung.Die von Schlingensief geäußerte Absicht, im Massenmedium Fernsehen wiederprivat zu werden, meint im Grunde ein nur schwerlich überbietbares Paradoxonund verschärft zugleich seine Anklage gegen die Daily Talkshows, die zu einemAbsterben familiärer Vertrautheit und zu einer Vernichtung privater Wertebeitrügen. Der traditionelle Orientierungsort „Familie“ mit seiner unschätzbarenKraft des Zusammenhalts scheint haltlos geworden und eben das wird von90
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Einleitung„Babysitter der Moderne
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Seit der ersten richtigen Talkshow
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I. Normative Muster schlingensiefsc
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„Lindenstrasse“, die er als zum
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seine Theaterstücke und Filme inte
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Er lässt aus mehreren Personen ein
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„Friedenshase“ bezeichnet. Schl
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Mit diesem Format versucht Schlinge
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Mit Argwohn betrachtet Schlingensie
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Zudem beinhaltet „Freakstars 3000
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folgenden Worten seine Unterstützu
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Castingshow“ sowie „Beziehungs-
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darzustellen, die das Gewohnte der
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