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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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6. Berufliche Möglichkeiten<br />

6.1 Überblick über die Erwerbsmöglichkeiten blinder Menschen<br />

Wie bereits erwähnt, war es das oberste Ziel des NS-Blindenwesens, blinde Menschen einer<br />

Erwerbstätigkeit zuzuführen. 749 In den 1930er Jahren waren die meisten der berufstätigen<br />

blinden Männer <strong>und</strong> Frauen als HandwerkerInnen tätig gewesen. Die von ihnen produzierten<br />

Waren konnten allerdings kaum gegen die günstigeren Produkte aus industrieller<br />

Fertigung auf dem Markt bestehen. 750 Der alleinige Verkauf ihrer Erzeugnisse sicherte<br />

den blinden HandwerkerInnen daher selten den notwendigen Lebensunterhalt. Um blinde<br />

Menschen unabhängig von öffentlicher <strong>und</strong> privater Unterstützung zu machen, sah es die<br />

NS-Führung daher als notwendig an, neue Berufsmöglichkeiten zu schaffen. Als Berufe für<br />

blinde Menschen mit besonders guten Zukunftsaussichten galt die Arbeit in Industriebetrieben,<br />

als TelefonistIn oder StenotypistIn.<br />

Für die Umsetzung dieser Maßnahmen wurde auf die Erfahrungen, die nach dem<br />

Ersten Weltkrieg in der Schaffung von Arbeitsplätzen für Kriegsblinde gemacht worden<br />

waren, zurückgegriffen. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg fanden Kriegsblinde an neuen<br />

Arbeitsplätzen in Industriebetrieben eine Beschäftigung. 751 Auch kriegsblinde Akademiker,<br />

öffentliche Bedienstete <strong>und</strong> Büroangestellte konnten sich allmählich etablieren.<br />

Sie übten damit eine wichtige Vorreiterrolle aus. Ihre beruflichen Leistungen wurden<br />

in der Öffentlichkeit als gut bewertet. Dies erleichterte in der Folge auch die Anstellung<br />

von Zivilblinden. 752 Viele der neuen Arbeitsplätze für blinde Menschen wurden<br />

allerdings durch die Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg, die mit Inflation <strong>und</strong><br />

Massenarbeitslosigkeit verb<strong>und</strong>en war, wieder zunichte gemacht. Hinzu kam noch, dass<br />

in Österreich 1922 von 309 rentenversorgten Kriegsblinden 223 Besitzer einer Trafik<br />

waren. 753 Blinde Kriegsopfer waren dadurch gut versorgt, was die Innovationsbereitschaft,<br />

neue Anstellungsmöglichkeiten im Vergleich zu Deutschland zu finden, hemmte. Das<br />

wirkte sich dann auch auf die Zivilblinden aus, die dadurch kaum von den gemachten<br />

Erfahrungen mit kriegsblinden Industriearbeitern profitieren konnten. Auch das „Inv<br />

alidenbeschäftigungsgesetz“ 754 von 1920 konnte an dieser Situation wenig ändern. Auf<br />

Gr<strong>und</strong> dieser Bedingungen waren in Österreich nur wenige blinde Menschen vor 1938<br />

in Industriebetrieben tätig gewesen. In den Siemens-Halske-Werken in Wien arbeiteten<br />

in den 1920er Jahren zehn Blinde. 755 Einige wenige fanden eine Anstellung im Radiowerk<br />

„Schrack“, der Metallwarenfabrik „Langfelder & Putzker“, dem Radiowerk „Leopolder &<br />

Sohn“, der „Österreichischen Telefonfabrik A-G“, dem „Optischen Werk C. Reichert“ sowie<br />

bei „Erricson Österreichische Elektrizitäts A-G“. 756<br />

749 Vgl. Kapitel II.2.1, II.3, II.6.<br />

750 Vgl. u. a.: Rhode, Berufsfürsorge, S. 20–24, hier S. 21; Graf, Berufseignung, S. 51–57 [Prof. Dr. med. Graf<br />

arbeitete am Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitspsychologie, Dortm<strong>und</strong>-Münster].<br />

751 Vgl. <strong>Hoffmann</strong>, Kriegsblinde, S. 104–119 <strong>und</strong> S. 166–176.<br />

752 Vgl. o. A., Die Berufsarbeit der Blinden in ihrer Bedeutung für die Volksgemeinschaft, S. 34–37, hier S. 35.<br />

753 Vgl. o. A., 50 Jahre Verband der Kriegsblinden Österreichs 1919–1969, Wien [1969], S. 61.<br />

754 Vgl. Kapitel II.2.2.3.<br />

755 Vgl. Bürklen, Blinde Arbeiter, S. 2.<br />

756 Vgl. Bürklen, Blinde Arbeiter, S. 3.<br />

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