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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Blinde Menschen wurden demnach zu einer Zeit zu NSDAP-Mitgliedern, in der ihnen<br />

dies in ihrem alltäglichen <strong>und</strong> beruflichen Leben nicht nur wenige Vorteile einbrachte,<br />

sondern ihnen dafür sogar Strafverfolgung drohte. Die Beteiligung blinder Menschen in der<br />

NSDAP schon vor 1938 ist aber nicht nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Terroraktivitäten der<br />

illegalen NSDAP bemerkenswert. „Volksgenossen“, die für den Dienst in der Wehrmacht als<br />

untauglich galten, sollten eigentlich nur dann in die NSDAP aufgenommen werden, wenn sie<br />

nicht „mit schweren körperlichen <strong>und</strong> geistigen Gebrechen behaftet“ 1210 waren. Laut den Vorgaben<br />

im Organisationshandbuch der NSDAP war ein Antrag vor allem dann abzulehnen,<br />

wenn dieser von einer Person gestellt wurde, die nach dem GzVeN als „erbkrank“ galt. 1211<br />

Trotzdem wurden blinde Menschen in die NSDAP aufgenommen. Es kann als gesichert<br />

angenommen werden, dass es blinde Menschen gab, die sich aus eigenem Antrieb<br />

für die nationalsozialistische Idee begeistert haben. 1212 Darüber hinaus gab es nach dem<br />

„Anschluss“ offenbar noch eine weitere Möglichkeit, wie blinde Menschen in Österreich<br />

zu Mitgliedern der NSDAP wurden. Sie wurden durch ihre Teilnahme am „Reichsbann B“<br />

der „Hitler-Jugend“, automatisch in die NSDAP aufgenommen. Auskunft darüber geben<br />

die Vereinsakten der „Interessengemeinschaft blinder Arbeiter“ 1213 , die 1935 gegründet, aber<br />

1938 aus dem Vereinsregister gelöscht <strong>und</strong> in den RBV eingegliedert wurde. Nach Ende des<br />

Krieges beantragten der ehemalige Leiter Erwin Horacek gemeinsam mit Maria Köhrer,<br />

Therese Riha, Leopold Urbans <strong>und</strong> Karl Phillip beim Wiener Magistrat, die 1938 erfolgte<br />

Löschung ihrer Gruppierung aus dem Vereinsregister rückgängig zu machen. Dabei kam<br />

es automatisch zu einer Überprüfung der AntragsstellerInnen auf ihre Mitgliedschaft in<br />

der NSDAP. 1214 Einer der Beteiligten, Karl Phillip, wurde dabei von der Gemeinde Wien als<br />

NSDAP-Mitglied von Juni 1944 bis April 1945 ausgewiesen, nur seine Mitgliedsnummer war<br />

nicht bekannt. Phillip gab in einer Stellungnahme dazu an, dass er von der „Hitler-Jugend“<br />

automatisch als Mitglied der NSDAP überstellt worden war. 1215 Erst nachdem ein erneuter<br />

Antrag auf Reorganisation des Vereines ohne Karl Phillip als Mitglied des provisorischen<br />

Vereinsvorstandes gestellt wurde, trat mit Bescheid vom 3. Oktober 1945 die Löschung des<br />

Vereines aus dem Jahre 1938 wieder außer Kraft. 1216<br />

1210 Reichsorganisationsleiter, Organisationsbuch, S. 6b.<br />

1211 Vgl. Reichsorganisationsleiter, Organisationsbuch, S. 6c.<br />

1212 Auch von gehörlosen Menschen aus Deutschland ist bekannt, dass sie ab 1933 öffentlich ihre Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Sympathie für Adolf Hitler zeigten. Vgl. Muhs, Deaf People als Eyewitnesses, pp. 78–97, hier<br />

pp. 82–83.<br />

1213 WStLA, M. Abt. 119, A 32, Zl. 6299/35, Interessengemeinschaft blinder Arbeiter; ÖStA, AdR, Stiko Wien,<br />

AC 31, Kt. 367, Zl. 22/F, Sg. 22, Interessengemeinschaft blinder Arbeiter.<br />

1214 Auch von anderen Vereinen ist bekannt, dass sie sich nach dem Ende des Krieges um eine Reorganisation<br />

bemühten. Einsehbar sind diese Akten allerdings nur dann, wenn die betreffenden Organisationen im Laufe<br />

der Nachkriegszeit ihre Tätigkeit wieder einstellten. Die „Interessengemeinschaft blinder Arbeiter“ löste sich<br />

bereits 1948 wieder auf. Von bestehenden Vereinen, wie dem ÖBSV <strong>und</strong> der „Hilfsgemeinschaft“, können diese<br />

Unterlagen im Archiv der Vereinspolizei nur mit Genehmigung des Vereinsvorstandes eingesehen werden.<br />

Von diesen beiden Selbsthilfeorganisationen konnten für diese Arbeit dementsprechend nur die Quellen begutachtet<br />

werden, die der jeweilige Vorstand zur Einsicht freigab. Eine vollständige Einsicht des Aktenmaterials<br />

erfolgte daher nicht. Daher konnten keine weiteren Beispiele für blinde Menschen gef<strong>und</strong>en werden, die als<br />

ehemalige NSDAP-Mitglieder nach 1945 wieder im Blindenwesen tätig sein wollten. Vgl. Kapitel V.<br />

1215 Vgl. WStLA, M. Abt. 119, A 32, Zl. 6299/35, Interessengemeinschaft blinder Arbeiter, Fortl. Nr. 2177 Gemeinde<br />

Wien, Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten vom 19.7.1945, Betreff: Phillip Karl.<br />

1216 Vgl. WStLA, M. Abt. 119, A 32, Zl. 6299/35, Interessengemeinschaft blinder Arbeiter, M. Abt. VII/2<br />

3981/45, Bescheid vom 3.10.1945, Betreff: Außerkrafttreten der Löschung.<br />

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