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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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„Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten war es notwendig, bei unselbständigen<br />

Leuten für Sauberkeit <strong>und</strong> Hygiene zu sorgen. Es mußten kranke <strong>und</strong> liegende Blinde<br />

betreut werden. Es gab damals viele Blinde <strong>und</strong> wenige Betreuer […].“ 2643<br />

Außer „Vorlesen <strong>und</strong> Vorträgen“ konnte den Betroffenen, so Les, „nicht viel“ geboten werden,<br />

„aber jeder Raum hatte seine Betreuerin, was die Lage der oft ganz unselbständigen alten<br />

Leute erleichterte“. 2644 Ein Beispiel aus den Tätigkeiten der so genannten „Blindenfürsorge“<br />

ist auch durch die von Adler herausgegebenen Dokumente bekannt. Für den Kriegsblinden<br />

Norbert Stern wurde versucht Papier für seine Notizen zu besorgen, da er sich literarisch<br />

betätigten wollte. 2645<br />

Im Herbst 1942 wendete sich Karel Fleischmann, Leiter der „Fürsorge“, persönlich an<br />

die in dem „Blindenheim“ untergebrachten Menschen. In einer Rede veranschaulichte er<br />

ihnen die grausamen Bedingungen im „Ghetto“ Theresienstadt:<br />

„Ich sehe, Sie sitzen auf Bänken, die aus rohen Brettern, nicht gestrichenem Holz<br />

gezimmert worden sind, […]. Sie sehen nicht das Elend der Schleusen, Sie sehen nicht<br />

die Greisinnen, wie sie den abschüssigen gewölbten Gang ohne Stiegen der Aussiger<br />

Kaserne hinunterkollerten, wie Marionetten, […] bis sie mit einem Aufschrei niederfielen,<br />

[…] auf den kalten Steinboden fielen, die Köpfe zerbrachen <strong>und</strong> den Boden rot<br />

färbten […]. Sie sehen auch nicht die elenden Quartiere in den Blocks. Sie sehen nicht<br />

die vollgepfropften Räume, die feuchten Wände <strong>und</strong> die löchrigen Fußböden, […]. Es<br />

gehört schon eine gewisse geistige <strong>und</strong> moralische Kraft dazu, in einer so von Gr<strong>und</strong><br />

aus geänderten Situation seine Haltung nicht zu verlieren […].“ 2646<br />

Zu jenen in der „Blindenfürsorge“ tätigen Menschen gehörte der bereits erwähnte Kriegsblinde<br />

David Schapira, 2647 der als „eine Art Kultur- <strong>und</strong> Freizeitreferent“ in der „Fürsorgeabteilung“<br />

beschäftigt war. 2648 Er organisierte „Vorträge, deklamatorisch-musikalische<br />

Veranstaltungen <strong>und</strong> Diskussionsabende“. 2649 Einer seiner Referate hatte im Juli 1943 das<br />

Thema „Die Blinden <strong>und</strong> ihre Umwelt“. 2650 Diese Veranstaltungen dienten dazu, die Betroffenen<br />

für eine kurze Zeit von ihrem Schicksal abzulenken. 2651 Darüber hinaus war Schapira<br />

Verteidiger am so genannten „Ghetto-Gericht“. 2652<br />

In der Erinnerung der ehemaligen Häftlinge gehörte die Ausübung einer Tätigkeit<br />

zu ihrer individuellen Überlebensstrategie. Tatsächlich herrschte für Häftlinge bis zum<br />

2643 Les, Drei Jahre im Ghetto, S. 206–224, hier S. 217.<br />

2644 Vgl. Les, Drei Jahre im Ghetto, S. 206–224, hier S. 217–218.<br />

2645 Vgl. Adler, verheimlichte Wahrheit, S. 254.<br />

2646 K[arl] Fleischmann, An die Blinden von Q 319, Ms T Herbst 1942, zitiert in: Adler, Theresienstadt 1941–<br />

1945, S. 534–536, hier S. 534–535.<br />

2647 Vgl. DÖW 16595/1, Arbeitsausweis Dr. David Schapira, Theresienstadt [Dokument kopiert aus Privatdokumenten<br />

von Herbert Exenberger].<br />

2648 Vgl. Schapira, Mein bewegter Lebenslauf, S. 21.<br />

2649 Vgl. Schapira, Mein bewegter Lebenslauf, S. 21.<br />

2650 Exenberger, Das Israelitische Blindeninstitut auf der Hohen Warte; Exenberger, Jüdische Blinde in Wien.<br />

2651 Vgl. K[arl] Fleischmann, An die Blinden von Q 319, Ms T Herbst 1942, zitiert in: Adler, Theresienstadt<br />

1941–1945, S. 534–536, hier S. 535.<br />

2652 Exenberger, Jüdische Blind in Wien; Schapira, Mein bewegter Lebenslauf, S. 21; Albert Lichtblau, Österreichisch-Jüdische<br />

Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie, 277.<br />

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