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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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2. Der NS-Wohlfahrtsstaat: Öffentliche Fürsorge <strong>und</strong><br />

gesetzliche Bestimmungen für Zivilblinde 217<br />

2.1 Gr<strong>und</strong>sätze der öffentlichen Fürsorge <strong>und</strong> der Gesetzgebung<br />

Für den Anspruch auf staatliche Fürsorge zählte in der NS-Zeit nicht das klassische Kriterium<br />

der Hilfsbedürftigkeit. Vom NS-Regime wurde nur eine solche Fürsorge gewährt,<br />

die als „produktiv“ galt. Das bedeutete, jeder sollte dazu in die Lage versetzt werden,<br />

sich aus eigener Kraft versorgen zu können. 218 Für die Zivilblinden hieß dies, dass die<br />

Berufsfürsorge zum wichtigsten Aspekt der staatlichen Unterstützung wurde. 219 Diese<br />

so genannte „Brauchbarmachung“ durch Berufsqualifikation sollte in der NS-Zeit durch<br />

eine Zusammenarbeit der öffentlichen <strong>und</strong> „freien“ Wohlfahrtspflege erfolgen. 220 Welche<br />

gesetzlichen Bestimmungen 221 dabei für die Zivilblinden relevant waren, wird im<br />

Folgenden erläutert.<br />

Die nationalsozialistische Fürsorge für die Zivilblinden war daher, wie das Petra<br />

Fuchs bereits für körperbehinderte Menschen festgestellt hat, utilitaristisch orientiert. 222<br />

Der in Deutschland von dem Orthopäden <strong>und</strong> Mitwirkenden bei der Entwicklung der<br />

„Krüppelfürsorge“ 223 Konrad Biesalski geprägte Leitsatz, „Krüppel von Almosenempfängern<br />

zu Steuerzahlern“ 224 zu machen, galt genauso für die NS-Blindenfürsorge. 225<br />

Der Gr<strong>und</strong>gedanke der „volkswirtschaftlichen Verwertbarkeit“ von Menschen mit<br />

einer Behinderung in der Fürsorge wurde aber nicht erst durch die NS-Diktatur geprägt.<br />

Schon in der deutschen Fürsorgegesetzgebung der <strong>Zwischen</strong>kriegszeit wurde er umgesetzt,<br />

wie das Beispiel des preußischen „Krüppelfürsorgegesetzes“ vom 6. Mai 1920 zeigt.<br />

Auch in Österreich herrschte dieser Gedanke in der Sozialgesetzgebung vor. Ein Beleg<br />

dafür ist das „Invalidenbeschäftigungsgesetz“ 226 , das im Folgenden noch ausführlich<br />

behandelt wird.<br />

217 Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich im Manuskript der dieser Publikation zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Dissertation. Insbesondere sind dort Informationen zur Fürsorge <strong>und</strong> Versorgung erblindeter<br />

Angehöriger des Reichsarbeitsdienstes (RAD) enthalten. <strong>Hoffmann</strong>, Blinde Menschen in der „Ostmark“,<br />

S. 85–87.<br />

218 Vgl. Malmanesh, Blinde, S. 196.<br />

219 Vgl. Pork, Zusammenarbeit, S. 109–114, hier S. 110. [Pork war Landesrat aus Münster in Westfalen <strong>und</strong><br />

Leiter der Hauptfürsorgestelle dort.]<br />

220 Vgl. Kapitel II.3. Da alle Vereinigungen <strong>und</strong> Einrichtungen für blinde Menschen mit Beginn der NS-Zeit<br />

gleichgeschaltet wurden, muss der Begriff „frei“ hier in Anführungsstriche gesetzt werden. Er entsprach<br />

zwar der damaligen öffentlichen Darstellung, aber keineswegs den tatsächlichen Bedingungen des NS-<br />

Vereinswesens.<br />

221 Eine weiterführende zeitgenössische Darstellung der fürsorglichen Bestimmungen der NS-Zeit mit Erläuterungen<br />

bietet folgendes Werk: Linde, Zimmerle, Fürsorge des Staates.<br />

222 Vgl. Fuchs, „Körperbehindert“, S. 138.<br />

223 Vgl. Kapitel I.5.<br />

224 Konrad Biesalski (Hrsg.), Umfang <strong>und</strong> Art des jugendlichen Krüppeltums <strong>und</strong> der Krüppelfürsorge in<br />

Deutschland nach der durch die B<strong>und</strong>esregierung erhobenen amtlichen Zählung, Hamburg, Leipzig 1909,<br />

S. 20, zitiert in: Fuchs, „Körperbehindert“, S.137.<br />

225 Vgl. Bögge, Aufgabe, S. 1–7, hier S. 3.<br />

226 [Ö] BGBl. Nr. 69/1928, Invalidenbeschäftigungsgesetz (Text vom Februar 1928) vom 8. Februar 1928.<br />

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