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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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„praktischen Blindheit“ entsprach nach damaliger Auffassung dem zeitgenössisch „neuesten<br />

wissenschaftlichen Forschungen“. 122 Auf Bestreben der NSDAP <strong>und</strong> des Reichsdeutschen<br />

Blindenverbandes (RBV) sollte diese Definition dann auch von weiteren NS-Organisationen<br />

berücksichtigt werden. Dementsprechend erweiterte beispielsweise der „Reichsverband<br />

für das Blindhandwerk“ 123 per Erlass des „Reichs- <strong>und</strong> Preußischen Arbeitsministers“<br />

bereits im April 1938 seine Bestimmungen zur Definition von Blindheit. 124 1939 erfolgte<br />

eine Anpassung innerhalb des Steuerrechts, das für erwerbstätige blinde Menschen Sondervorschriften<br />

vorsah. 125 Die Erweiterung des Personenkreises, der von diesen Bestimmungen<br />

erfasst werden sollte, hatte als offizielles Ziel, mehr blinden oder hochgradig<br />

sehbehinderten Menschen Maßnahmen zur Verbesserung ihrer beruflichen <strong>Integration</strong><br />

zukommen zu lassen.<br />

Von diesen Bestimmungen abweichend war allerdings die Definition von Blindheit im<br />

GzVeN:<br />

„Als blind werden auch solche Menschen zu erachten sein, die zur Ausübung eines<br />

gewöhnlichen Berufes untauglich sind, also anderen zu Last fallen, ferner Menschen,<br />

die im Kindesalter zum Schulbesuch infolge hochgradiger Sehschwäche untauglich<br />

sind <strong>und</strong> daher in einer Blindenanstalt unterrichtet werden müssen […].“ 126<br />

Diese Auslegung ließ Raum für willkürliche Einstufungen <strong>und</strong> ermöglichte es, auch sehbehinderte<br />

Menschen unter der GzVeN-Diagnose „erbliche Blindheit“ erfassen zu können. 127<br />

Überprüft werden sollte eine „Erblindung“ durch eine „fachärztliche Untersuchung“. 128<br />

Die FachärztInnen hatten viel Raum für ihre Beurteilung. Der Leiter der Städtischen Augenklinik<br />

Dortm<strong>und</strong>, Martin Bartels, meinte dementsprechend im 1939 vom RBV herausgegebenen<br />

„Ratgeber für Blinde“: 129 „Eine scharfe Grenze ist überhaupt nicht zu ziehen.“ 130<br />

Für diese Studie bedeutete diese unterschiedliche <strong>und</strong> teilweise willkürliche Auslegung<br />

des Begriffes „Blindheit“ <strong>und</strong> „praktische Erblindung“ in den Quellen, dass nicht eindeutig<br />

definiert werden kann, wer unter dem NS-Regime als blind, praktisch blind oder sehbehindert<br />

galt. Dies ist allerdings, wie eingangs erwähnt, kein dezidiertes Spezifikum der<br />

NS-Zeit. 131 Deshalb wird im Folgenden der Begriff „blind“ nicht in Anführungsstriche<br />

gesetzt, da es auch in heutiger Zeit schwierig wäre, diesen genau zu bestimmen. Wolfgang<br />

Drave meinte dazu:<br />

122 Vgl. BAB, R 2, RFM, Zl. 20435, GZ H. VIII 3/2, NSDAP Reichsleistung an den RMdF vom 16.2.1939, Betreff:<br />

Praktische Blindheit.<br />

123 Vgl. Kapitel II.6.2.<br />

124 Vgl. BAB, R 2, RFM, Zl. 20435, Richtlinien zur Beurteilung der praktischen Blindheit vom Reichsverband<br />

für das Blindenhandwerk vom April 1938.<br />

125 Vgl. Kapitel II.2.4.1; BAB, R 2, RFM, Zl. 20435, S 2100–21 III, Nr. 873, R<strong>und</strong>erlass RMdF vom 15.6.1938,<br />

Betreff: Steuerliche Behandlung der Blinden.<br />

126 Gütt, Rüdin, Ruttke, Gesetz, S. 107–108.<br />

127 Vgl. II.8.2.2<br />

128 Bartels, Hygiene, S. 1–15, hier S. 9 [!] –7. [Im Original liegt ein Druckfehler vor, die richtige Seitenzahl<br />

müsste 6 lauten. Bartels war Leiter der Städtischen Augenklinik Dortm<strong>und</strong>.]<br />

129 Vgl. Meurer, Ratgeber für Blinde.<br />

130 Vgl. Bartels, Hygiene, S. 1–15, hier S. 3.<br />

131 Vgl. weiterführend: European Blind Union, <strong>Integration</strong> – eine Vision.<br />

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