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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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die Erblichkeit von zahlreichen Erkrankungen aber vielfach noch sehr bescheiden. In diesem<br />

Zusammenhang wurde insbesondere auf die aus heutiger Sicht häufig fälschlicherweise<br />

angenommene Erblichkeit der Starerkrankungen hingewiesen. 964 Die Indikationsstellung<br />

für eine Zwangssterilisation muss schon auf Gr<strong>und</strong> dieses Aspektes als willkürlich bezeichnet<br />

werden.<br />

Für diese Arbeit konnten durch die Angaben von Claudia Spring die Verfahrensakten<br />

von 14 Fällen auf Gr<strong>und</strong> der angenommenen Diagnose „erbliche Blindheit“ aus dem Quellenbestand<br />

des Erbges<strong>und</strong>heitsgerichts Wien eingesehen werden. In zehn Fällen endete das<br />

Verfahren mit dem Beschluss zur Unfruchtbarmachung. Eine dieser Zwangssterilisierungen<br />

wurde wegen „angeborenen Schwachsinns“ in Verbindung mit „erblicher Blindheit“<br />

beschlossen. Bei drei der insgesamt 14 Betroffenen endete das Verfahren mit der Feststellung,<br />

dass keine „erblich bedingte Blindheit“ diagnostiziert werden konnte. 965 Ein Verfahren<br />

wurde ohne Beschluss für die Dauer des Krieges eingestellt. Acht Männer <strong>und</strong> sechs Frauen<br />

waren betroffen.<br />

Bei vier Zwangssterilisationen ist der operative Eingriff dokumentiert. In fünf Fällen<br />

fehlen die Informationen dazu <strong>und</strong> ein Eingriff wurde auf Gr<strong>und</strong> des „totalen Kriegs ein satzes“<br />

verschoben. Bei acht dieser 14 Fälle kann auf Gr<strong>und</strong> von Hinweisen im vorhandenen<br />

Quellenmaterial der Eindruck gewonnen werden, keine Blindheit oder praktische Blindheit,<br />

sondern eine angenommene erblich bedingte Sehbehinderung habe das Verfahren indiziert.<br />

Anna H. zum Beispiel war auf Gr<strong>und</strong> einer „fleckigen Hornhauttrübung“ 966 (Dystrophia<br />

cornea maculosa) sehbehindert. Wie bereits erwähnt, wurde auch diese Krankheit als „erblich“<br />

eingestuft <strong>und</strong> eine negative Auswirkung auf die „Berufsfähigkeit“ angenommen, auch<br />

wenn die Betroffene zum Zeitpunkt des Verfahrens noch über einen relativ guten Sehrest<br />

verfügte. Anna H. war im dritten Monat schwanger. Am 7. Juli 1943 wurde bei ihr die<br />

gerichtlich angeordnete Zwangssterilisation <strong>und</strong> Abtreibung nach eugenischer Indikation<br />

vorgenommen. 967 Bei Maria H. 968 kam es zu einem Verfahren vor dem Erbges<strong>und</strong>heitsgericht,<br />

obwohl sie nur eine Missbildung des rechten Auges hatte. 969 Im März 1942 endete ihr<br />

Verfahren mit dem Beschluss, dass keine „Erbkrankheit“ vorlag. 970<br />

Im Vergleich mit den von Gabriel Richter zitierten Verfahren fällt auf, dass in Wien<br />

<strong>und</strong> im Raum Mittelfranken eine angenommene „Retinitis Pigmentosa“ zu der Indikation<br />

zählte, die am häufigsten zu einem Verfahren geführt hatte. In Wien erfolgten fünf<br />

der 14 Verfahren auf Gr<strong>und</strong> dieser angenommenen Augenerkrankung. Vier Verfahren<br />

964 Vgl. Kapitel II.1.2.2; Hennig, Zwangssterilisation in Offenbach, S. 182; Rohrbach, Augenheilk<strong>und</strong>e im<br />

Nationalsozialismus, S. 138.<br />

965 Claudia Spring kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt 17 Prozent aller Verfahren damit endeten, dass<br />

eine Zwangssterilisation abgelehnt wurde. In 72 Prozent der Fälle wurde eine Zwangssterilisation angeordnet<br />

<strong>und</strong> elf Prozent hatten einen anderen Verfahrensausgang. In 93 Prozent der ablehnenden Beschlüsse<br />

galten die Frauen <strong>und</strong> Männer vor dem Erbges<strong>und</strong>heitsgericht als nicht oder nicht sicher „erbkrank“,<br />

in sieben Prozent war die im GzVeN verankerte „besondere Fortpflanzungsgefahr“ nicht gegeben. Vgl.<br />

Spring, Antragsstellung trotz Kriegseinsatz, S. 181–199, hier S. 189–190.<br />

966 WStLA, Erbges<strong>und</strong>heitsgericht Wien, 2.3.15; Kt. 16, AZ 2 XIII 146/43.<br />

967 Vgl. WStLA, Erbges<strong>und</strong>heitsgericht Wien, 2.3.15; Kt. 16, AZ 2 XIII 146/43.<br />

968 Die beiden Frauen, die hier als Beispiel ausgewählt wurden, sind nicht verwandt <strong>und</strong> haben nur durch<br />

Zufall bei ihren Nachnamen denselben Anfangsbuchstaben.<br />

969 Personen, die nur auf einem Auge erblindet sind <strong>und</strong> auf dem anderen über einen guten Sehrest verfügen,<br />

haben meist kaum Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung.<br />

970 Vgl. WStLA, Erbges<strong>und</strong>heitsgericht Wien, 2.3.15; Kt. 5, AZ 1 XIII 180/42.<br />

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