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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Kurze Zeit danach begann die Tötungsaktion „T 4“, bei der PatientInnen der psychiatrischen<br />

Anstalten im „Deutschen Reich“ in Tötungsanstalten 1061 gebracht wurden. Betroffene<br />

aus Anstalten in der „Ostmark“ kamen vor allem nach Hartheim. 1062<br />

Der Personenkreis, der für diese Mordaktion in Frage kommen sollte, wurde durch im<br />

Oktober 1939 verschickte Meldebögen erfasst. Zu den anzugebenden Krankheiten zählte<br />

Blindheit auch diesmal nicht. 1063 Eine gesetzliche Regelung für diese Tötungsaktion gab<br />

es nicht. Hitler lehnte diese aus politischen Gründen ab. 1064 Im August 1941 befahl Hitler,<br />

die Vergasungen in den Tötungsanstalten einzustellen. Das in der Öffentlichkeit verbreitete<br />

Wissen um die Morde erschien dem NS-Regime als zu gefährlich. Trotzdem lief<br />

die Ermordung angeblich „minderwertiger“ Menschen in den Kinderfachabteilungen 1065<br />

<strong>und</strong> für die Erwachsenen in verschiedenen Anstalten bis Kriegsende weiter. 1066 Eine zentrale<br />

Anweisung für diese Mordaktionen dürfte nicht vorgelegen sein, weshalb sich der<br />

Begriff „wilde Euthanasie“ 1067 dafür durchgesetzt hat. 1943/1944 kam es zu einer „erneuten<br />

Intensivierung“ 1068 des Mordprogramms. „In den späten Phasen der ‚Euthanasie‘ weitete sich<br />

der Kreis der Opfer zunehmend aus.“ 1069 Neben den psychisch Kranken kam es zur Tötung<br />

von BewohnerInnen von Altersheimen, „Trinkerheilstätten“ <strong>und</strong> Asylen sowie körperlich<br />

kranken Menschen. Betroffen waren ebenfalls die Gruppen der Kriegsversehrten <strong>und</strong> Ausländer,<br />

die zunächst aus „Gründen politischer Opportunität“ 1070 verschont geblieben waren.<br />

Auch blinde Menschen, die nicht von ihren Angehörigen versorgt wurden <strong>und</strong> in Altersheimen<br />

oder anderen Anstalten untergebracht waren, sowie wiederum mehrfachbehinderte<br />

Menschen <strong>und</strong> Kriegsblinde mit psychischen Beeinträchtigungen konnten in der letzten<br />

Phase der NS-„Euthanasie“ zu Opfern geworden sein. 1071<br />

Zahlen darüber sind bisher allerdings nicht erarbeitet worden. Für einige WissenschaftlerInnen,<br />

die zur NS-„Euthanasie“ geforscht haben, scheint aber festzustehen, dass unter<br />

1061 Im Deutschen Reich gab es zeitweilig sechs „Euthanasieanstalten“ in Brandenburg (Zuchthaus an der<br />

Havel), Bernburg an der Saale, Schloß Grafeneck in Württemberg, Hadamar bei Limburg, Hartheim bei<br />

Linz <strong>und</strong> Sonnenstein bei Pirna. Vgl. Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 135–165.<br />

1062 Vgl. Neugebauer, Zwangssterilisierung <strong>und</strong> „Euthanasie“, S. 17–28, hier S. 23; Weiterführende Literatur<br />

vgl. u. a. Kepplinger, Marckhgott, Reese, Tötungsanstalt Hartheim; Berührende Briefe <strong>und</strong> Dokumente<br />

aus Hartheim sind kommentarlos abgedruckt in: Neuhauser, Pfaffenwimmer, Hartheim.<br />

1063 Das geht aus dem Merkblatt, das mit dem Meldeblatt versendet wurde, hervor. Abgedruckt in: Klee, „Euthanasie“<br />

im NS-Staat, S. 91–93. Vgl. Kräuse-Schmitt, Ermordung geistig behinderter Menschen, S. 8–10,<br />

hier S. 8; Michael Greve, Die organisierte <strong>Vernichtung</strong> „lebensunwerten Lebens“ im Rahmen der „Aktion<br />

T 4“. Dargestellt am Beispiel des Wirkens <strong>und</strong> der strafrechtlichen Verfolgung ausgewählter NS-Tötungsärzte,<br />

[= Reihe Geschichtswissenschaft, 43], S. 42, zitiert in: Thomas Rüscher, NS-„Euthansie“ im Bregenzerwald,<br />

S. 142–153, hier S. 143.<br />

1064 Vgl. Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 101.<br />

1065 Vgl. dazu weiterführend: Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 379–389.<br />

1066 Vgl. u. a. Friedlander, Motive, S. 47–59, hier S. 57; Neugebauer, Zwangssterilisierung <strong>und</strong> „Euthanasie“,<br />

S. 17–28, hier S. 23.<br />

1067 Diesen Begriff prägte Viktor Brack, einer der Hauptverantwortlichen für die „Euthanasie“-Aktion in der<br />

„Kanzlei des Führers“. Vgl. Götz Aly, Die „Aktion Brandt“ – Bombenkrieg, Bettenbedarf <strong>und</strong> „Euthanasie“,<br />

in: Götz Aly (Hrsg.), Aktion T4 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4,<br />

Berlin 1987, S. 168 ff, zitiert in: Neugebauer, Zwangssterilisierung <strong>und</strong> „Euthanasie“, S. 17–28, hier S. 23.<br />

1068 Insgesamt 15 Anstalten beteiligten sich daran, Hadamar, Großschweidnitz <strong>und</strong> Meseritz-Obrawalde galten<br />

dabei als besonderes „berüchtigt“. Vgl. Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 315.<br />

1069 Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 315.<br />

1070 Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 315.<br />

1071 Vgl. Friedlander, The Origins of Nazi Genocide, p. XI; Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 315.<br />

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