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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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AnhängerInnen der Rassenhygiene <strong>und</strong> den GegnerInnen von eugenischen Zwangsmaßnahmen<br />

unterschiedliche Auffassungen. Gabriel Richter beschäftigte sich in seiner 1986<br />

veröffentlichten Dissertation ausgiebig mit dieser Problematik. 176 Der Anhänger der Rassenhygiene<br />

Alfred Grotjahn glaubte etwa, dass zwei Drittel der „Gebrechlichen“, unter ihnen<br />

auch blinde Menschen, erblich „belastet“ seien. 177<br />

Der deutsche Blinde Rudolf Kraemer, Verfasser einer Streitschrift gegen das GzVeN, 178<br />

<strong>und</strong> Carl Strehl, Direktor der Marburger Blindenanstalt, sprachen dagegen von 3,85 Prozent<br />

bis 15 Prozent auf Gr<strong>und</strong> einer Erbkrankheit erblindeter Menschen. 179 Mehr praktische<br />

Relevanz hatten die Aussagen führender Nationalsozialisten zu diesem Thema. Sie sprachen<br />

nicht von „erbkranken Blinden“, sondern, im Sinne des GzVeN, von „zu sterilisierenden<br />

Blinden“. Reichsärzteführer Gerhard Wagner schätzte, dass 15 bis 20 Prozent der blinden<br />

Menschen zwangssterilisiert werden sollten. 180<br />

Auch wenn diese Diskussionen nur für Deutschland dokumentiert sind, so waren sie für<br />

die „Ostmark“ gleichermaßen relevant, denn das GzVeN trat mit 1. Jänner 1940 auch dort<br />

in Kraft. Es ist weiters anzunehmen, dass im Rahmen der unterschiedlichen Überlegungen<br />

zur Eugenik in Österreich ebenfalls die Frage nach den „erblichen Erblindungsursachen“<br />

behandelt wurde. 181 Ein Beleg dafür ist der Aufsatz „Eugenische Massnahmen gegen angeborene<br />

Blindheit“ 182 des Wiener Arztes Hermann Swoboda aus dem Jahr 1935.<br />

Die Augenheilk<strong>und</strong>e konnte allerdings trotz intensiver Forschungsarbeit zum damaligen<br />

Zeitpunkt viele Fragen zu den „erblichen Augenerkrankungen“ noch nicht beantworten. 183<br />

Als eine „erbliche“ Ursache für eine Erblindung oder schwere Sehbehinderung wurde<br />

damals die Starerkrankung angenommen. Es war bekannt, dass sie in verschiedenen Formen<br />

auftrat. Die unterschiedlichen Ausprägungen galten überwiegend als „erblich“. 184 Der<br />

angeborene Star galt als eine der häufigsten Ursachen angeborener Blindheit. 185 Unter dem<br />

so genannten „angeborenen Totalstar“ verstand man eine schon bei der Geburt vorhandene,<br />

meist doppelseitige, mehr oder weniger vollständige Trübung der Linse, die auch bei<br />

einer frühzeitigen Behandlung meist zu einer hochgradigen Sehbehinderung führte. 186 Der<br />

176 Vgl. Richter, Blindheit, S. 26–31; Kapitel II.8.1.<br />

177 Vgl. Alfred Grotjahn, Soziale Pathologie, Versuch einer Lehre von den sozialen Beziehungen der menschlichen<br />

Krankheiten als Gr<strong>und</strong>lage der sozialen Medizin <strong>und</strong> der sozialen Hygiene, Berlin 3 1923, S. 472,<br />

zitiert in: Richter, Blindheit, S. 28.<br />

178 Vgl. Kraemer, Kritik der Eugenik, S. 342–379.<br />

179 Richter, Blindheit, S. 29; Kraemer, Kritik der Eugenik, S. 342–379, hier S. 347. [Tabelle mit Aussagen zeitgenössischer<br />

Autoren über die Erblichkeit der Blindheit Vgl. Richter, Blindheit, S. 31.]<br />

180 Vgl. Gehard Wagner, Rasse <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Rede, gehalten auf dem Parteikongress 1934, in: Ziel <strong>und</strong><br />

Weg, Nr. 4 (1934), S. 63, zitiert in: Richter, Blindheit, S. 30.<br />

181 Eine ausführliche Schilderung der Frage, inwieweit das Thema „erbliche Erblindungen“ im Diskurs um<br />

eugenische Maßnahmen in der <strong>Zwischen</strong>kriegszeit eine Rolle gespielt hat, kann in dieser Arbeit nicht<br />

gegeben werden. Weiterführende Literatur vgl u. a. Baader, Hofer, Mayer, Eugenik in Österreich.<br />

182 Swoboda, Eugenische Massnahmen gegen angeborene Blindheit.<br />

183 Eine sehr detailreiche Darstellung des damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu den Erbkrankheiten<br />

des Auges mit Hinweisen zu als notwendig angesehenen eugenischen Maßnahmen vgl. Gütt,<br />

Erbleiden des Auges.<br />

184 Verschuer, Blindheit <strong>und</strong> Eugenik, S. 8. [Hrsg. vom RBV; Gegenäußerung zur „Kritik der Eugenik“ von<br />

Rudolf Kraemer.]<br />

185 Vgl. Lenz, Die krankhaften Erbanlagen, S. 169–407, hier S. 198 [vermehrte <strong>und</strong> verbesserte Auflage]; Gütt,<br />

Rüdin, Ruttke, Gesetz, S. 109.<br />

186 Vgl. Max Bücklers, Linsentrübungen, S. 112–141, hier S. 112.<br />

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