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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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den Diagnosen „erbliche Blindheit“ sowie „erbliche Taubheit“ <strong>und</strong> „schwere körperliche<br />

Mißbildung“ das Gericht vorsichtiger mit seinen Beschlüssen war, Zweifel an der „Erblichkeit“<br />

eher zuließ <strong>und</strong> auch die Sichtweise der Betroffenen berücksichtigte. Für diese<br />

Beurteilung konnte sie allerdings nur drei Verfahren, die auf Gr<strong>und</strong> der Antragsdiagnose<br />

„erbliche Blindheit“ geführt wurden, heranziehen. Nur in einem Fall kam es dabei zur<br />

Anordnung einer Zwangssterilisation. 957<br />

Welche diagnostizierten Augenerkrankungen tatsächlich zu einer Zwangssterilisierung<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Diagnose „erbliche Blindheit“ in der NS-Zeit führten, kann auf Gr<strong>und</strong> des<br />

für diese Arbeit ausgewerteten Quellenmaterials nicht beantwortet werden. Gabriel Richter<br />

untersuchte für seine 1987 publizierte Studie lediglich eine regional beschränkte Auswertung<br />

von Indikationen für eine Zwangssterilisation auf Gr<strong>und</strong> der GzVeN-Diagnose<br />

„erbliche Blindheit“, die im Raum Nürnberg, Fürth <strong>und</strong> Erlangen (Mittelfranken) vom<br />

„Institut für Humangenetik <strong>und</strong> Anthropologie“ in Erlangen <strong>und</strong> Nürnberg durchgeführt<br />

worden war. 958 Diese Daten stammen zudem aus den 1970er Jahren. Aktuellere regionale<br />

Untersuchungen zu Zwangssterilisationen in Deutschland geben zu dieser Fragestellung<br />

keine Auskunft, weil in diesen lediglich die Anzahl von GzVeN-Verfahren auf Gr<strong>und</strong> der<br />

Diagnose „erbliche Blindheit“ veröffentlicht wurde, nicht aber die angenommenen erblichen<br />

Augenerkrankungen, die ein Verfahren indizierten. 959<br />

Nach den Angaben von Richter kam es in Mittelfranken zwischen 1935 <strong>und</strong> 1944 zu<br />

Zwangssterilisationen von elf Männern <strong>und</strong> acht Frauen auf Gr<strong>und</strong> der Diagnose „erbliche<br />

Blindheit“. Von den insgesamt 19 angeordneten Zwangssterilisierungen erfolgten<br />

zwei auf Gr<strong>und</strong> einer Starerkrankung. In sechs Fällen sah das Erbges<strong>und</strong>heitsgericht eine<br />

„Retinitis Pigmentosa“ als gegeben an <strong>und</strong> in vier Fällen erfolgte der Beschluss wegen einer<br />

„Opticusatrophie“ 960 . Die restlichen Zwangssterilisierungen wurden auf Gr<strong>und</strong> anderer Diagnosen<br />

angeordnet <strong>und</strong> bei insgesamt fünf Fällen ist die genaue Indikation, die zur Feststellung<br />

der „erblichen Blindheit“ führte, nicht bekannt. 961 Bei elf Männern <strong>und</strong> einer Frau<br />

wurde die Sterilisation abgelehnt. 962<br />

Auf Gr<strong>und</strong>lage dieser aufgearbeiteten Fälle aus dem Raum Mittelfranken kommt Richter<br />

zu dem Ergebnis, dass blinde Menschen auch in augenärztlich umstrittenen Fällen<br />

zwangssterilisiert wurden. 963 Wie bereits im ersten Kapitel über die Ursachen von erblich<br />

bedingten Erblindungen ausgeführt wurde, war der wissenschaftliche Kenntnisstand über<br />

957 Vgl. Hennig, Zwangssterilisation in Offenbach, S. 179.<br />

958 Dafür wurde der Bestand der „Sippenakten“ Nr. 1 bis 30 443 bearbeitet. Vgl. Jobst Thürauf, Erhebungen<br />

über die im Rahmen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (G. z. V. e. N.) vom 14.7.1933<br />

in den Jahren 1934–1945 durchgeführten Sterilisationen im Raume Nürnberg-Fürth-Erlangen (Mittelfranken),<br />

dargestellt an den Akten des Ges<strong>und</strong>heitsamtes der Stadt Nürnberg. I. Beitrag, Diss. [Manuskript],<br />

Erlangen 1970, Harald <strong>Hoffmann</strong>, [Ders. Titel]. II. Beitrag, Diss. [Manuskript], Erlangen 1971,<br />

Dieter Horn, [Ders. Titel]. III. Beitrag, Diss. [Manuskript], Erlangen 1972, Heidi Kreutzer, [Ders. Titel]. IV.<br />

Beitrag, Diss. [Manuskript], Erlangen 1972, zitiert in: Richter, Eugenik <strong>und</strong> Blindheit, S. 147–151.<br />

959 Nur Jessika Hennig ging in ihrer Studie weitergehend auf die Diagnose „erbliche Blindheit“ ein. Vgl. Hennig,<br />

Zwangssterilisation in Offenbach, S. 111–113 <strong>und</strong> S. 179–183. Vgl. Braß, Zwangssterilisationen <strong>und</strong><br />

„Euthanasie“ im Saarland, S. 90–91; Simon, Kriminalbiologie <strong>und</strong> Zwangssterilisation, S. 281–296.<br />

960 Erkrankung der Sehnerven. Vgl. Richter, Blindheit <strong>und</strong> Eugenik, S. 147–148.<br />

961 Vgl. Richter, Blindheit <strong>und</strong> Eugenik, S. 147–148.<br />

962 Richter konnte insgesamt 31 Verfahren auf Gr<strong>und</strong> der GzVeN-Diagnose „erbliche Blindheit“ für seine<br />

Auswertung heranziehen.<br />

963 Vgl. Richter, Blindheit <strong>und</strong> Eugenik, S. 150.<br />

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