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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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erlitten hatten. Auch Kriegsgeschädigte, die nicht „arbeitsfähig“ waren, konnten unter<br />

Umständen zu „Euthanasie“-Opfern werden.<br />

Eine weitere für Zivilblinde relevante Spezifikation war, ob sie als „erblich belastet“<br />

galten <strong>und</strong> dadurch durch das GzVeN verfolgt wurden. Für die Empfehlung für oder gegen<br />

eine Zwangssterilisation war allerdings wiederum die Einschätzung, inwieweit eine als<br />

„erblich“ geltende Augenerkrankung die „Berufsfähigkeit“ der Betroffenen einschränkte,<br />

von Bedeutung.<br />

Blinde Menschen, die auf Gr<strong>und</strong> eines Arbeitsunfalles erblindet waren, hatten außerdem<br />

einen umfassenderen Anspruch auf Versorgung. Sie galten als nicht „genetisch belastet“,<br />

sondern erblindeten bei ihrer „Pflichterfüllung“, der Arbeit. Um der eigenen Propaganda<br />

nicht zu widersprechen, konnte das Regime sie deshalb nicht unversorgt lassen <strong>und</strong> handelte<br />

nach dem Leitsatz, dass „völkisches Wohlverhalten“ belohnt werden musste.<br />

Zu einer Sondergruppe unter den Kriegsblinden zählten die erblindeten Angehörigen<br />

der Waffen-SS. Ihre Rehabilitation erfolgte gesondert von jenen der anderen blinden Wehrmachtsangehörigen<br />

<strong>und</strong> sie genossen bis Kriegsende wesentlich umfangreichere Privilegien.<br />

Zu einer schlechter gestellten Gruppe von Kriegsblinden müssen Zivilpersonen gezählt<br />

werden, die infolge der Kampfhandlungen, insbesondere durch Bomben <strong>und</strong> aufgef<strong>und</strong>ene<br />

Munition erblindeten. Sie waren von der Rehabilitation in den diversen Reservelazaretten<br />

für erblindete Soldaten der Wehrmacht ausgeschlossen. Zudem gab es Schwierigkeiten bei<br />

ihrer Erfassung. Bei ihnen musste die Meldung an die NS-Kriegsopferversorgung über die<br />

ÄrztInnen <strong>und</strong> Angestellten der öffentlichen <strong>und</strong> privaten Krankenanstalten erfolgen. Die<br />

vor allem gegen Ende des Krieges völlig überlasteten Einrichtungen kamen dieser Aufgabe<br />

allerdings nicht immer nach.<br />

Zu einer weiteren Spezifikation führte das Geschlecht: Weibliche Blinde hatten wesentlich<br />

schlechtere Lebensbedingungen als blinde Männer, was sich beispielsweise auch in<br />

schlechteren Ausbildungs- <strong>und</strong> Berufschancen manifestierte. Die benachteiligte Behandlung<br />

blinder Frauen aus dem 19. <strong>und</strong> Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte sich fort. Blinden<br />

Frauen, auch wenn sie als „nicht erblich belastet“ galten, wurde eine Mutterschaft nicht<br />

zugetraut. Die Ehe eines blinden, „erbges<strong>und</strong>en“ Mannes mit einer sehenden Frau galt<br />

dagegen als wünschenswert. Außerdem wurde die „Leistungsfähigkeit“ blinder Frauen im<br />

Erwerbsleben negativ beurteilt. Blinde Frauen hatten darüber hinaus nur eine unbedeutende<br />

Mitsprachemöglichkeiten im RBV: Die geringe Beteiligung blinder Frauen in den Vereinsleitungen<br />

setzte sich in der NS-Zeit fort. In den bekannten Vorständen der „Gaubünde“ des<br />

RBV findet sich keine einzige Frau.<br />

3. Blinde Menschen unter dem NS-Regime konnten sowohl Opfer als auch AkteurInnen sein.<br />

Auf Gr<strong>und</strong> ihrer Herkunft gehörten blinde Menschen, die nach den „Nürnberger Rassengesetze“<br />

als Jüdinnen <strong>und</strong> Juden galten, ausschließlich zur Kategorie der Opfer. R<strong>und</strong> 150<br />

blinde Menschen aus der „Ostmark“ dürften im Holocaust getötet worden sein. Insgesamt<br />

gehen Schätzungen davon aus, dass 5.000 blinde Menschen jüdischer Herkunft aus ganz<br />

Europa unter dem NS-Regime ermordet wurden.<br />

Zu Opfern der NS-Rassenhygiene konnten blinde Menschen werden, deren Erblindung<br />

als erblich bedingt galt. Allerdings waren sie im Vergleich zu anderen Gruppen von Personen<br />

mit psychiatrischen Diagnosen weniger stark davon betroffen: Höchstens ein Prozent der<br />

angeordneten Zwangssterilisationen im „Deutschen Reich“ dürften auf Gr<strong>und</strong> der Diagnose<br />

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