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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Belange der Allgemeinheit <strong>und</strong> volkswirtschaftliche Aspekte standen im Vordergr<strong>und</strong>. 766<br />

Zivilblinde sollten dementsprechend auch dafür Verständnis haben, dass sie kein Studium<br />

absolvieren konnten, wenn die „volkswirtschaftliche Rentabilität“ einer solchen Ausbildung<br />

als nicht gegeben beurteilt wurde. 767 Die AkademikerInnenquote unter den Zivilblinden<br />

war dementsprechend niedrig, vor allem im Vergleich zu den Kriegsblinden. 768<br />

Eine Sonderrolle bei den utilitaristisch orientierten Maßnahmen zur Schaffung von<br />

Arbeitsplätzen nahmen blinde Frauen ein. 769 Sie fanden noch schwerer Arbeit als blinde<br />

Männer. Die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten für Frauen wurde daher als besonders<br />

dringlich betrachtet. Als geeignet wurden Berufe angesehen, die ihrer „Weiblichkeit“ entsprachen.<br />

Sie sollten Strick- oder andere Handarbeiten übernehmen. Da die Entlohnung<br />

von solchen Handarbeitsprodukten im Vergleich zum Aufwand gering war, wurde vor allem<br />

ihr Einsatz als Maschinenstrickerinnen forciert. Die Herstellung von Wollsachen auf einer<br />

Flachstrickmaschine war produktiver als reine Handarbeit. 770<br />

In den Blindenschulen erlernten blinde Mädchen die Haushaltsführung. Durch ihre Mithilfe<br />

in diesem Bereich sollte ein anderes sehendes Familienmitglied für die Ausübung eines<br />

Berufes frei werden. 771 Auch Bürotätigkeiten galten als geeignete Beschäftigungsmöglichkeit.<br />

Unter den ersten sechs blinden Menschen, die in Wien die StenotypistInnen-Ausbildung<br />

absolvierten, waren dementsprechend vier Frauen. 772 Für den Einsatz in Industriebetrieben<br />

fanden sich nach damaliger Auffassung Beschäftigungsmöglichkeiten für blinde Frauen<br />

vor allem in der Ernährungs- <strong>und</strong> Textilindustrie. 773 Eine eigene Organisation, der „Verein<br />

blinder Frauen Deutschlands“ 774 , war für die so genannte Berufs- <strong>und</strong> Arbeitsfürsorge<br />

der blinden Frauen zuständig. Dieser beschaffte auch blinden Frauen in der „Ostmark“<br />

Arbeitsaufträge. 775<br />

6.2 Blinde HandwerkerInnen<br />

Zu den klassischen Blindenhandwerksberufen zählten das Bürsten- <strong>und</strong> Besenmachen, die<br />

Herstellung von Körben, das Flechten von Matten mit Hilfe eines einfachen Webrahmens<br />

sowie das Stricken an Maschinen. Außerdem setzten blinde HandarbeiterInnen Federwäscheklammern<br />

oder Gummimatten zusammen. Blinde HandwerkerInnen waren entweder<br />

selbständig oder in einer Werkstätte beschäftigt. Im Vergleich zu den industriegefertigten<br />

Produkten waren die hergestellten „Blindenwaren“ allerdings viel zu teuer. 776 Das „Blindhandwerk“<br />

wurde, wie bereits erwähnt, zunehmend unrentabel.<br />

766 Vgl. Demmel, Nacht zum Licht, S. 193; Erlwein, Sehgeschädigten, S. 56.<br />

767 Vgl. o. A., Berufsarbeit, S. 34–37, hier S. 36.<br />

768 Vgl. Demmel, Nacht zum Licht, S. 329.<br />

769 Zur sozialen Stellung der blinden Frauen vgl. Kapitel II.10.<br />

770 Vgl. Hoelters, Betätigungsmöglichkeiten, S. 71–75, hier S. 74–75.<br />

771 Vgl. Hoelters, Betätigungsmöglichkeiten, S. 71–75, hier S. 71.<br />

772 Vgl. Klebert, Prüfung blinder Stenotypisten, S. 270–271, hier S. 271.<br />

773 Vgl. Hoelters, Betätigungsmöglichkeiten, S. 71–75, hier S. 73<br />

774 Kapitel II.3.6, II.10.<br />

775 Vgl. Fürstenberg, Blinden von Niederdonau, S. 287–289, hier S. 288.<br />

776 Vgl. Claeßen, Die blinden Handwerker, S. 38–51, hier S. 38–41 [Claeßen war ein Kriegsblinder <strong>und</strong> als<br />

Geschäftsführer des Reichsverbandes für das Blindenhandwerk tätig].<br />

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