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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Durch diese Definition des Empfängerkreises gab es wiederum viel Spielraum für willkürliche<br />

Auslegungen. Ein an das Regime angepasster Lebensstil eines blinden Familienvaters<br />

konnte so zur Existenzsicherung beitragen.<br />

Blinde Mütter scheinen von dieser Regelung nicht betroffen gewesen zu sein. Dabei<br />

ging der Gesetzgeber wohl davon aus, dass diese von ihren „sehenden“ Männern versorgt<br />

würden. Hinzu kam, dass einer blinden Frau die Mutterrolle wohl nicht zugetraut wurde. 332<br />

2.4.3 Ermäßigungen im öffentlichen Verkehr<br />

In den vorherigen Kapiteln wurden bereits viele Vergünstigungen für berufstätige Blinde<br />

aufgezeigt. Diese gab es auch im öffentlichen Verkehr. Die Reichsbahn beförderte blinde<br />

Menschen für Berufsreisen zum halben Preis in der dritten <strong>und</strong> zweiten Klasse. Die Ermäßigung<br />

galt ebenfalls für eine/n sehende/n Begleiter/in. 333 Diese Bestimmungen aus dem<br />

„Altreich“ wurden mit 1. Jänner 1939 in der „Ostmark“ eingeführt. 334 Um diese Ermäßigung<br />

zu erhalten, war ein hoher bürokratischer Aufwand notwendig.<br />

Blinde Menschen, die keinem Beruf nachgingen, sollten nicht in den Genuss dieser<br />

Ermäßigung kommen. Ausnahmeregelungen gab es nur für „mittellose Blinde zum vorübergehenden<br />

Besuch in Blindenanstalten“ 335 sowie für „mittellose Zöglinge <strong>und</strong> Pfleglinge<br />

von Blindenanstalten.“ 336 Die LeiterInnen von Blindenschulen, Werkstätten <strong>und</strong> Heimen<br />

konnten Ermäßigungsscheine für den halben Fahrpreis in der dritten Klasse ausstellen,<br />

damit die Betroffenen die Einrichtung wieder verlassen oder besuchen konnten. Außerdem<br />

konnte alleinreisenden BegleiterInnen zum Abholen des/r Blinden oder zur Rückfahrt die<br />

Ermäßigung gewährt werden.<br />

Der große bürokratische Aufwand hinter diesen Tarifbestimmungen wurde auf der<br />

194. Sitzung der „Tarifkommission der Deutschen Eisenbahnverwaltung“ im Dezember 1938<br />

diskutiert. Die Reichsbahndirektion München stellte einen Antrag, blinden Menschen die<br />

Ermäßigung für jede beliebige Reise zu genehmigen. In der Begründung hieß es, dass blinde<br />

Menschen kaum zu ihrem „Vergnügen“ [sic!] reisen würden <strong>und</strong> dass es nur sehr schwer war<br />

nachzuprüfen, ob eine Berufsreise wirklich notwendig war oder nicht. Außerdem gab es<br />

bei der Ausstellung der Bescheinigung durch die Eisenbahnverwaltung anscheinend immer<br />

wieder viele „unerquickliche Auseinandersetzungen“. 337 Die Eisenbahndirektion München<br />

332 Vgl. Kapitel II.10. Weiterführende Literatur zu dem Thema: vgl. Ulrike Heitkamp, Die Situation blinder<br />

Frauen <strong>und</strong> Mädchen im 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, in: Christine Burger (Hrsg.), Du mußt Dich halt behaupten.<br />

Die gesellschaftliche Situation behinderter Frauen, Würzburg 1992, S. 89–189.<br />

333 Vgl. Gäbler-Knibbe, Blinden im Verkehr, S. 76–83, hier S. 80–81. [Der Autor Dr. Lothar Gäbler-Knibbe<br />

war selbst erblindet <strong>und</strong> beim RBV tätig.]<br />

334 Vgl. BAB, Reichsverkehrsministerium, R 5/3048, DRB 15 Tpeb, Entwurf Schreiben an NSKOV Fachabteilung<br />

erblindeter Krieger Berlin <strong>und</strong> Wien vom 7.11.1938, Betreff: Fahrpreisermäßigung für Blinde zu<br />

Berufsreisen.<br />

335 Vgl. BAB, Reichsverkehrsministerium, R 5/3048, Auszug aus 194. Sitzung der Ständigen Tarifkommission<br />

der Deutschen Eisenbahnverwaltung, München den 6., 7., 8.12.1938, S. 136.<br />

336 Vgl. Gäbler-Knibbe, Blinden im Verkehr, S. 76–83, hier S. 80–81; BAB, Reichsverkehrsministerium,<br />

R 5/3048, Auszug aus 194. Sitzung der Ständigen Tarifkommission der Deutschen Eisenbahnverwaltung,<br />

München den 6., 7., 8.12.1938, S. 135–136.<br />

337 Vgl. BAB, Reichsverkehrsministerium, R 5/3048, Auszug aus 194. Sitzung der Ständigen Tarifkommission<br />

der Deutschen Eisenbahnverwaltung, München den 6., 7., 8.12.1938, S. 136.<br />

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