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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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der Eileiter bei der Frau <strong>und</strong> des Samenleiters beim Mann. 1010 Nach einer Änderung des<br />

GzVeN vom 4. Februar 1936 1011 war bei Frauen auch die Methode der Strahlenbehandlung<br />

durch Röntgen- oder Radiumbestrahlung zugelassen. Allerdings nur, wenn die betreffende<br />

Frau über 38 Jahre alt war. 1012<br />

Über die Durchführung der Eingriffe sollte ein „Ärztlicher Bericht“ an das Erbges<strong>und</strong>heitsgericht<br />

erfolgen. Diese sind nur teilweise in den Verfahrensakten am Wiener Erbges<strong>und</strong>heitsgericht<br />

enthalten. In den Dokumenten der zehn angeordneten Zwangssterilisierungen<br />

wegen der Diagnose „erbliche Blindheit“ befinden sich nur in vier Fällen die<br />

entsprechenden Formulare. Diese gaben Auskunft über Ort, Datum, Durchführung der<br />

Operation <strong>und</strong> gegebenenfalls Komplikationen. Bei Frauen, bei denen nach dem vorangegangenen<br />

Beschluss zur Zwangssterilisation eine Abtreibung erfolgte, wurde der Schwangerschaftsabbruch<br />

ebenfalls beschrieben. 1013<br />

Unter den Folgen <strong>und</strong> Nebenwirkungen dieser Eingriffe mussten die Betroffenen oft<br />

ein ganzes Leben leiden. Äußerlich blieb bei Männern nach dem Eingriff meist eine fünf<br />

bis zehn Zentimeter lange Narbe in den Leisten zurück. 1014 Bei Frauen musste für die Operation<br />

ein Bauchschnitt unter Vollnarkose vorgenommen werden. 1015 Der Eingriff war bei<br />

ihnen wesentlich schwerwiegender, dementsprechend war die Sterblichkeitsrate wesentlich<br />

höher, 1016 insbesondere dann, wenn gleichzeitig ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen<br />

wurde. 1017 Die durchschnittliche Todesrate lag in der „Ostmark“ bei 1,2 Prozent. 1018<br />

Bei drei Männern in Wien, bei denen auf Gr<strong>und</strong> der Diagnose „erbliche Blindheit“ eine<br />

Zwangssterilisation angeordnet wurde, ist der Bericht über den durchgeführten Eingriff im<br />

Bestand des Wiener Erbges<strong>und</strong>heitsgerichts erhalten. Daraus geht hervor, dass die Betroffenen<br />

vier bis fünf Tage nach der Operation das Krankenhaus wieder verlassen konnten.<br />

Angaben über den Eingriff bei Frauen mit der GzVeN-Diagnose „erbliche Blindheit“ finden<br />

sich nur in einem Fall. Die Betreffende konnte das Krankenhaus nach 14 Tagen wieder<br />

verlassen, allerdings war bei ihr auch eine Abtreibung durchgeführt worden.<br />

Vor allem in Interviews mit blinden <strong>und</strong> sehbehinderten Menschen, die von den NS-<br />

Zwangsmaßnahmen betroffenen waren, kommen die gravierenden, lebenslangen Folgen<br />

dieser Eingriffe zum Ausdruck. In der Publikation von Gabriel Richter ist ein Interview<br />

mit einer blinden Frau abgedruckt, die schon mit zwölf Jahren zwangssterilisiert worden<br />

war. Dabei kam es zu Komplikationen. Sie musste sich noch zwei weiteren Eingriffen unterziehen<br />

<strong>und</strong> bekam im Alter von 15 Jahren die gesamte Gebärmutter samt Scheidenstumpf<br />

entfernt. 1019 Wolfgang Drave hat 28 blinde Frauen <strong>und</strong> Männer aus Deutschland befragt<br />

1010 Vgl. Otmar Verschuer, Leitfaden der Rassenhygiene, Leipzig 1941, S. 122, zitiert in: Richter, Blindheit <strong>und</strong><br />

Eugenik, S. 88.<br />

1011 Vgl. [D] RGBl., Teil I, Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />

vom 4. Februar 1936, S. 119.<br />

1012 Vgl. Goldberger, „Erb- <strong>und</strong> Rassenpflege“ in Oberdonau, S. 345–366, hier S. 362; Bartels, Hygiene, S. 1–15,<br />

hier S. 10.<br />

1013 Auf dem Formular befanden sich vorgedruckte Felder, in denen unter anderem die Länge <strong>und</strong> Besonderheiten<br />

der Frucht aufgeführt werden sollten.<br />

1014 Vgl. Beckenbauer, Sterilisation in Bayern, in: Blinde unterm Hakenkreuz, S. 50–58, hier S. 54.<br />

1015 Vgl. Bock, Zwangssterilisation, S. 374.<br />

1016 Vgl. Bock, Zwangssterilisation, S. 372–389; Heitzer, Zwangssterilisation in Passau, S. 335.<br />

1017 Vgl. Lechner, NS-Zwangssterilisationen, S. 231–250, hier S. 242.<br />

1018 Vgl. Lechner, NS-Zwangssterilisationen, S. 231–250, hier S. 231.<br />

1019 Vgl. Richter, Blindheit <strong>und</strong> Eugenik, S. 290–295.<br />

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