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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Deportationen ausgeschlossen werden sollten. Zu diesem Personenkreis zählten blinde<br />

Menschen, „Vollinvalide“ <strong>und</strong> Schwerkranke sowie Beamte der IKG <strong>und</strong> ihre Angehörigen,<br />

Inhaber von Auswanderungspapieren, Pfleglinge der Altersheime, Kriegsgeschädigte<br />

<strong>und</strong> ausgezeichnete Soldaten des Ersten Weltkrieges jüdischer Herkunft. 2555 Diese Ausnahmeregelung<br />

war erlassen worden, weil insbesondere die „Umsiedlung“ von ehemaligen<br />

Kriegsgeschädigten jüdischer Herkunft zu Protesten diversester Stellen geführt hatte. 2556<br />

Auf der Konferenz in Wannsee im Jänner 1942 wurde dann aber festgelegt, die Träger von<br />

Kriegsauszeichnungen jüdischer Herkunft nach Theresienstadt zu deportieren. 2557 Im Laufe<br />

des Jahres 1942 erfolgte schließlich die Verschleppung der blinden Menschen jüdischer<br />

Herkunft aus Wien in die <strong>Vernichtung</strong>s- <strong>und</strong> Konzentrationslager. 2558<br />

Entgegen der Bestimmung auf der von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes<br />

(RSHA), geleiteten Konferenz am Berliner Wannsee, kamen nicht alle Kriegsblinden<br />

nach Theresienstadt. 2559 Der Kriegsblinde Leo Goldapper beispielsweise, der im<br />

Ersten Weltkrieg nach einer Schussverletzung vollständig erblindet war, 2560 wehrte sich,<br />

laut Aussage des Überlebenden Oskar Löwy am Wiener Landesgericht am 25. Februar 1946<br />

im Prozess gegen Anton Brunner, bei seiner Verhaftung 1942 durch die Gestapo energisch.<br />

Dies hatte zur Folge, dass er „von Brunner I <strong>und</strong> Brunner II geschlagen“ <strong>und</strong> „ausnahmsweise<br />

sogar nach Polen verschickt wurde“. 2561 Auch Herbert Rosenkranz berichtete über diesen<br />

Fall, allerdings behauptete er, Goldapper sei „strafweise nach Ausschwitz [sic!] geschickt“ 2562<br />

worden. Dies lässt sich allerdings anhand der Datenbank des DÖW zu den Holocaustopfern<br />

nicht bestätigen. Demnach wurde der ehemalige Korporal am 27. April 1942, das heißt vor<br />

den anderen in der Folge noch genannten Kriegsblinden, die erst im August <strong>und</strong> September<br />

1942 nach Theresienstadt kamen, in die polnische Kleinstadt Wlodawa im Distrikt Lublin<br />

transportiert. 2563 Insgesamt 1.000 Menschen befanden sich in diesem Zug, der vom Wiener<br />

Aspangbahnhof aus fuhr. Das Todesdatum von Goldapper ist nicht bekannt: Bereits im Mai<br />

1942 kam es aber in Wlodawa zu einem Massaker an r<strong>und</strong> 500 alten als „arbeitsunfähig“<br />

2555 Vgl. Hilberg, Destruction, p. 279.<br />

2556 Vgl. auch Kapitel IV.3.3.3, IV.6.4.<br />

2557 Vgl. Rosenkranz, Verfolgung <strong>und</strong> Selbstbehauptung, S. 354; Das Wannsee-Protokoll vom 20.1.1942,<br />

, Download am 25.4.2009.<br />

2558 Vgl. DÖW, Datenbanken, Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer, Liste mit Deportationen<br />

von der Adresse Hohe Warte 32 [Ausdruck vom 21.11.2007].<br />

2559 Vgl. Kapitel IV.3.3.3.<br />

2560 Vgl. CAHJP, A/W, 2874/2, HMB, Nr. 850, Kriegsopferverband, Personalbogen Leo Israel Goldapper.<br />

2561 Vgl. Exenberger, Jüdische Blinde in Wien. Die Kennzeichnung Brunner I <strong>und</strong> II wurde gewählt, um die<br />

Namensvetter Alois <strong>und</strong> Anton Brunner zu unterscheiden. Mit Brunner II ist Anton Brunner gemeint,<br />

einer der wichtigsten Mitarbeiter Eichmanns in der „Zentralstelle der jüdischen Auswanderung“ in Wien.<br />

Nach dem Kriegsverbrechergesetz wurde er in Wien wegen der Straftatbestände Quälerei, Misshandlung,<br />

Verletzung der Menschenwürde sowie Vertreibung aus der Heimat für schuldig erkannt <strong>und</strong> zum Tode<br />

verurteilt. Alois Brunner fungierte 1941/42 als Leiter dieser „Zentralstelle“. 1942 bis 1944 war er maßgeblich<br />

an den Deportationen von Menschen jüdischer Herkunft aus Berlin, Frankreich, Griechenland <strong>und</strong><br />

der Slowakei beteiligt. Seinem Todesurteil konnte sich Alois Brunner entziehen, da es ihm gelang, nach<br />

Syrien zu fliehen <strong>und</strong> unterzutauchen. Vgl. u. a. Garscha, Entnazifizierung <strong>und</strong> gerichtliche Ahndung,<br />

S. 852–883, hier S. 875.<br />

2562 Zeugenvernehmung von Klinger, Ing. Siegfried Kolisch, RA Franz Fürth, Brunner-Prozeß, S. 130, II. <strong>und</strong><br />

III. Hauptverhandlung, zitiert in: Rosenkranz, Verfolgung <strong>und</strong> Selbstbehauptung, S. 298<br />

2563 Vgl. DÖW, Opferdatenbanken, Shoa-Opfer, , Download<br />

am 7.6.2009.<br />

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