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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Im Sommer 1940 verfügte das Reichsinnenministerium die Zusammenlegung von PatientInnen<br />

jüdischer Herkunft in Sammelanstalten. Zu diesen zählte u. a. die Einrichtung<br />

„Am Steinhof“ in Wien. 2535 Jonny Moser gab 1999 für die „Ostmark“ eine Zahl von 363<br />

Opfern jüdischer Herkunft der NS-„Euthanasie“ an. 2536 Nach Einschätzung von Wolfgang<br />

Neugebauer ist diese Zahl allerdings zu niedrig:<br />

344<br />

„[…] in Ansehung der verbürgten Zahl von ca. 400 aus ‚Steinhof‘ <strong>und</strong> Ybbs <strong>und</strong> 15<br />

aus Graz-Feldhof 1940/1941 abtransportierten Juden sowie der Opfer der Kinder- <strong>und</strong><br />

der ‚wilden Euthanasie‘ ist die Zahl der im Zuge der NS-Euthanasieaktion ermordeten<br />

oder umgekommenen österreichischen Juden mit mindestens 500 anzunehmen.“ 2537<br />

Es ist anzunehmen, dass unter diesen „Euthanasie“-Opfern jüdischer Herkunft sich auch<br />

Menschen bef<strong>und</strong>en haben, die neben ihrer Erblindung noch eine weitere Beeinträchtigung<br />

hatten <strong>und</strong> in einer Anstalt untergebracht waren. 2538 Von einer blinden Frau, Amalia T.,<br />

die vom „Hilfsverein der jüdischen Blinden“ im April 1938 unterstützt wurde <strong>und</strong> vermutlich<br />

neben ihrer Erblindung weitere Beeinträchtigungen hatte, ist bekannt, dass sie sich zu<br />

diesem Zeitpunkt „in Steinhof“ 2539 befand. Der Name „Mali T.“ 2540 erscheint ebenfalls noch<br />

auf einer Liste von blinden Menschen, die eine Unterstützung der „Fürsorgezentrale“ der<br />

IKW Wien erhielten, vom 24. August 1940. Auf Gr<strong>und</strong> der Namensgleichheit dürfte es<br />

sich dabei ebenfalls um Amalia T. gehandelt haben. Da auf dem Dokument von 1940 keine<br />

Adressen verzeichnet sind, konnte ihr Aufenthaltsort zu diesem Zeitpunkt nicht bestimmt<br />

werden, 2541 allerdings scheint die blinde, mehrfachbeeinträchtigte Frau 1940 noch gelebt zu<br />

haben. Ihr weiteres Schicksal konnte nicht eruiert werden. In der Datenbank des DÖW mit<br />

den Opfern des Holocaust erscheint Amalia T. jedenfalls nicht, es ist daher denkbar, dass sie<br />

zu den blinden, mehrfachbehinderten Opfern der NS-„Euthanasie“ zählte, was aber nach<br />

derzeitigem Forschungsstand noch nicht eindeutig geklärt werden kann.<br />

Hans-Walter Schmuhl arbeitete in seinem 2002 veröffentlichten Aufsatz darüber hinaus<br />

die „Verbindungslinien zwischen der ‚Euthanasie‘ <strong>und</strong> dem Holocaust“ 2542 heraus. Dabei<br />

kommt er zu folgendem Ergebnis:<br />

„Die Ursprünge der Gaskammern, die zum Signum der fabrikmäßigen Massenvernichtung<br />

der europäischen Judenheit geworden sind, reichen zurück in die nationalsozialistische<br />

‚Euthanasie‘-Aktion.“ 2543<br />

2535 Vgl. Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 317–318.<br />

2536 Vgl. Moser, Demographie, S. 56.<br />

2537 Neugebauer, Juden als Opfer der NS-Euthanasie, S. 99–111, hier S. 111.<br />

2538 Vgl. Kapitel II.8.3.<br />

2539 ÖStA, AdR, Stiko Wien, AC 31, Kt. 564, Mappe L 14, Hilfsverein der jüdischen Blinden vom 4.4.1938,<br />

Anhang zum Fragebogen vom 6.4.1938, Betreff: Monatliche Unterstützungen folgender Mitglieder.<br />

2540 CAHJP, A/W 1907, HMB 3069, Nr. 0956, Kriegsopferverband, Selbsthilfegruppen der jüdischen Krüppel,<br />

betreffend Gewährung von Unterstützungsbeiträgen an Mitglieder dieser Verbände durch die Fürsorgezentrale<br />

1940–1942, Betreff: Unterstützungen an Blinde vom 24.9.1940.<br />

2541 Vgl. CAHJP, A/W 1907, HMB 3069, Nr. 0956, Kriegsopferverband, Selbsthilfegruppen der jüdischen<br />

Krüppel, betreffend Gewährung von Unterstützungsbeiträgen an Mitglieder dieser Verbände durch die<br />

Fürsorgezentrale 1940–1942, Betreff: Unterstützungen an Blinde vom 24.9.1940.<br />

2542 Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 316.<br />

2543 Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 328.

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