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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Insgesamt dürfte aber im Vergleich zu Menschen mit einer geistigen Behinderung der<br />

Anteil blinder Menschen ohne weitere Beeinträchtigung an den „Euthanasie“-Opfern gering<br />

gewesen sein. Es kann angenommen werden, dass die Auffassung der NS-Führung, blinde<br />

Menschen könnten einer Erwerbstätigkeit nachgehen, viele vor der Tötung bewahrte. 1082<br />

Ab 1941 war die Einschätzung der „Arbeitsfähigkeit“ 1083 das zentrale Auswahlkriterium<br />

für die „Euthanasie“. Es sollten diejenigen getötet werden, die auch in den Anstalten keine<br />

„produktive“ 1084 Arbeit leisten konnten. 1085 Blinde, gehörlose <strong>und</strong> unter gewissen Einschränkungen<br />

auch Menschen mit einer körperlichen Behinderung galten primär als „arbeitsfähig“<br />

<strong>und</strong> damit auch nicht unbedingt als „lebensunwert“. 1086<br />

Zu den im Rahmen der NS-„Euthanasie“ ermordeten Menschen zählen laut einer Schätzung<br />

von Wolfgang Neugebauer auch mindestens 500 Menschen mit einer Beeinträchtigung<br />

jüdischer Herkunft aus der „Ostmark“. 1087 Dieser Aspekt wird in Kapitel IV.6.2 erläutert.<br />

8.4 Ehegesetzgebung<br />

„Ich hab’ […] den öffentlichen Umgang mit dem<br />

weiblichen Geschlecht vollkommen gemieden, weil<br />

ich gesagt hab’, meine männliche Vollwertigkeit ist<br />

mir lieber.“ 1088<br />

Das Eheges<strong>und</strong>heitsgesetz (EGG) trat in der „Ostmark“ gleichzeitig mit dem GzVeN in<br />

Kraft. 1089 Für blinde Menschen war dies aus zweierlei Hinsicht von besonderer Bedeutung.<br />

Es verbot zum einen die Ehe zwischen als „erbkrank“ angesehenen blinden Menschen,<br />

wenn nicht beide unfruchtbar oder zwangssterilisiert worden waren. Zum anderen war<br />

die Verehelichung eines als „erbkrank“ geltenden blinden Menschen mit einer „ges<strong>und</strong>en“<br />

Person nicht erlaubt, unabhängig davon, ob der oder die Betreffende unfruchtbar gemacht<br />

worden war. 1090<br />

Kriegsbedingt wurde das EGG in der „Ostmark“ allerdings nicht vollzogen. Es sollte zu<br />

keiner Anrufung des Erbges<strong>und</strong>heitsgerichtes in „Eheges<strong>und</strong>heitssachen“ 1091 kommen. Bei<br />

einer Eheschließung sollte eine ärztliche Untersuchung, ob eine „Erbkrankheit“ vorlag, nur<br />

bei Verdacht stattfinden, wenn auf Gr<strong>und</strong> von Angaben aus der Vorgeschichte <strong>und</strong> nach<br />

1082 Vgl. Hielscher, Blinde im Nationalsozialismus, S. 8.<br />

1083 Schmuhl, Patientenmorde, S. 295–328, hier S. 315.<br />

1084 Aly, Medizin gegen Unbrauchbare, S. 9–74, hier S. 29.<br />

1085 Vgl. Aly, Medizin gegen Unbrauchbare, S. 9–74, hier S. 29.<br />

1086 Zur „Euthanasie“ von gehörlosen <strong>und</strong> anderen Menschen mit einer Behinderung vgl. u. a.: Biesold, Klagende<br />

Hände, insb. S. 176; Runggatscher, Lebenssituation gehörloser Menschen, insb. S. 85; Büttner, Bann<br />

G, insb. S. 23; Romey, „Euthanasie“ war Massenmord, S. 55–81; Klee, Von der Asylierung zum Mord,<br />

S. 82–92.<br />

1087 Vgl. Neugebauer, Juden als Opfer der NS-Euthanasie, S. 99–111, hier S. 111.<br />

1088 Drave, Blinde Menschen erzählen ihr Leben, S. 276. [Der Blinde Norbert Lorenz sagt dies in einem Gespräch<br />

mit Wolfgang Drave über sein Leben in der NS-Zeit.]<br />

1089 Weiterführende Literatur zum Thema Ehe in der NS-Zeit vgl. u. a. Czarnowski, Das kontrollierte Paar.<br />

1090 Vgl. Richter, Blindheit <strong>und</strong> Eugenik, S. 182.<br />

1091 [D] RGBl., Teil 1, Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />

<strong>und</strong> des Eheges<strong>und</strong>heitsgesetzes vom 31. August 1939, S. 1560–1561 [§ 7, Abs. 2].<br />

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