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Barbara Hoffmann Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung

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Aus heutiger Sicht absurd erscheinen publizierte Beiträge über angebliche Heldentaten<br />

von blinden Menschen, die die NSKOV „Fachabteilung erblindeter Krieger“ offenbar platzierte,<br />

um den Kriegsblinden das Gefühl zu geben, auch als Menschen mit einer Beeinträchtigung<br />

„leistungsfähig“ zu sein. 1939 erschien beispielsweise ein Bericht über einen blinden<br />

Vater, der sich angeblich mit seinen 32 [sic!] blinden Söhnen aus Sorrento (Italien) an der<br />

gewaltsamen Machtübernahme von Benito Mussolini beteiligt haben soll. Dieser Artikel<br />

beschrieb, wie die blinden Männer die so genannten „Freiheitskämpfer“ um die „nationale<br />

Einigung“ Italiens nachts, durch unwegsame Sümpfe geführt hatten, was nur ihnen auf<br />

Gr<strong>und</strong> ihrer durch die Blindheit geschulten Orientierungsfähigkeit möglich gewesen sei. 1674<br />

In der vorhergehenden Ausgabe wurde von einem ehemaligen Frontsoldatem des Ersten<br />

Weltkrieges berichtet, dem wegen eines vor kurzem entdeckten Minensplitters ein Auge<br />

entfernt werden musste. Die Hornhaut des Auges wurde einem zehnjährigen Jungen in der<br />

Universitätsklinik Tübingen eingesetzt, der daraufhin wieder sehen konnte. 1675<br />

Die NSKOV „Fachabteilung erblindeter Krieger“ schreckte außerdem nicht davor<br />

zurück, über angebliche medizinische Forschungsergebnisse zu berichten, die den Kriegsblinden<br />

Hoffnungen machten, eines Tages wieder sehen zu können. 1676 Dieser Aspekt war<br />

allerdings von besonderer Tragik für die Betroffenen, da aus damaliger medizinischer Sicht<br />

eine Wiedererlangung des Sehvermögens in den allermeisten Fällen unmöglich war. Die<br />

Aussicht, wieder sehen zu können, behinderte zudem die Rehabilitation der Betroffenen.<br />

Franz Schubert, Lehrer im „Blindensammellazarett“ kritisierte 1943 dezidiert die ÄrztIn nen<br />

in den Lazaretten, die die erblindeten Soldaten nicht über das Ausmaß ihrer irreversiblen<br />

Augenverletzung informierten, weshalb die Betroffenen ihre Blindheit nur als vorübergehend<br />

einschätzten. Viele erblindete Soldaten sahen daher keinen Sinn darin, in einem<br />

Reservelazarett für Kriegsblinde die Blindenschrift <strong>und</strong> andere für blinde Menschen zur<br />

Alltagsbewältigung notwendige Fertigkeiten zu lernen. 1677 Dieses Beispiel zeigt, was charakteristisch<br />

für die NSKOV „Fachabteilung erblindeter Krieger“ war: Sie war keine Interessenvertretung<br />

von Kriegsveteranen, sondern die NSKOV <strong>und</strong> ihre Abteilungen dienten in<br />

erster Linie der Verbreitung der NS-Propaganda <strong>und</strong> der Umsetzung der NS-Ideologie. 1678<br />

3.5.2 Die Rolle von Kriegsblinden in der NS-Propaganda<br />

Die Propagandawirksamkeit von Kriegsblinden in der Öffentlichkeit spielte beim Umgang<br />

des NS-Regimes mit ihnen eine besondere Rolle. Der NS-Staat setzte die erblindeten Kriegsopfer<br />

gezielt für die Verbreitung seiner Anliegen, beispielsweise zur Militarisierung der<br />

Gesellschaft im Zuge der Wiederaufrüstung, ein. 1679 Kriegsblinde nahmen auch bei Paraden<br />

auf Ehrenplätzen teil. 1680 1935 veranstaltete der NSKOV vom 2. bis 16. Juni in Stuttgart eine<br />

1674 Vgl. o. A., Blinder Vater mit 32 blinden Söhnen, S. 58.<br />

1675 Vgl. o. A., Ein totes Auge macht einen Blinden sehend, S. 10–11.<br />

1676 Vgl. u. a.: o. A., Durch Hornhaut-Überpflanzung wieder sehend, S. 300; Kirst, Sehprothese, S. 35–36; o. A.,<br />

Forschungsarbeit für Sehprothesen, S. 79.<br />

1677 Vgl. Schubert, Ueber Blindenfürsorge, S. 1–10, hier S. 3.<br />

1678 Vgl. Diehl, The Thanks of the Fatherland, p. 49.<br />

1679 Vgl. Jaedicke, Geschichte des deutschen Blindenwesens, S. 328; Poore, Disability in Twentieth Century,<br />

p. 72.<br />

1680 Vgl. Jaedicke, Geschichte des deutschen Blindenwesens, S. 329.<br />

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