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Praxis<br />
Abbildung 2. Der Ordnerplan strukturiert die elektronische und die Papierablage parallel.<br />
Es ist das Kerngeschäft von Bibliotheken,<br />
Information und Wissen systematisch<br />
zu erschließen und wie<strong>de</strong>r auffi ndbar<br />
zu machen. Bibliothekarinnen und<br />
Bibliothekare tun dies auch tagtäglich<br />
erfolgreich mit Medien und Dokumenten<br />
für die Kun<strong>de</strong>n. Dagegen zeigt sich immer<br />
wie<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r Umgang mit internen<br />
elektronischen und gedruckten Dokumenten<br />
in Bibliotheken ein ungelöstes<br />
Problem ist.<br />
Dieser Wi<strong>de</strong>rspruch mag <strong>de</strong>r Grund<br />
sein, warum sich die Suche nach einer<br />
Bibliothek, die sich als Projektpartnerin<br />
und Versuchsobjekt am Projekt beteiligen<br />
wollte, als gar nicht so einfach erwies.<br />
Die Stadtbibliothek Göppingen hatte <strong>de</strong>n<br />
Mut, sich in die Karten schauen zu lassen<br />
und sah die Chance, sich vom Projektteam<br />
nicht nur eine neue Ordnerstruktur,<br />
son<strong>de</strong>rn sich auch eine neue Philosophie<br />
<strong>de</strong>s Umgangs mit internen Dokumenten<br />
entwickeln zu lassen: eine prozess- und<br />
teamorientierte Ordner- und Ordnungsstruktur.<br />
Die Vorgeschichte<br />
Offi ziell existiert für die Stadtbibliothek<br />
Göppingen ein Aktenplan aus <strong>de</strong>n Siebzigerjahren<br />
als Teil <strong>de</strong>s »Kommunalen Aktenplans«<br />
3 <strong>de</strong>r Stadtverwaltung. Aber wie<br />
bei vielen kommunalen Einrichtungen<br />
und Ämtern, die nicht zum traditionellen<br />
Kernbereich behördlicher Verwaltungsprozesse<br />
gehören (von Volkshochschulen<br />
über IT-Abteilungen bis zu technischen<br />
Ämtern) klaffen Anspruch und Wirklichkeit<br />
auseinan<strong>de</strong>r.<br />
So wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Aktenplan nie konsequent<br />
angewen<strong>de</strong>t und Än<strong>de</strong>rungen, die in <strong>de</strong>n<br />
letzten 40 Jahren im Bibliothekswesen<br />
stattgefun<strong>de</strong>n haben, sind spurlos an ihm<br />
vorüber gegangen. Letztlich hat aber vor<br />
allem die Einführung <strong>de</strong>r EDV für interne<br />
Arbeitsabläufe ab Anfang o<strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r<br />
BuB | 63 (2011) 3<br />
Neunzigerjahre <strong>de</strong>m Aktenplan <strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong>nstoß<br />
versetzt.<br />
Die ersten PCs wur<strong>de</strong>n noch als bessere<br />
Schreibmaschinen genutzt: Damit wur<strong>de</strong>n<br />
Briefe erstellt, ausgedruckt, als Kopie<br />
in <strong>de</strong>n Papierordner abgelegt und dann auf<br />
<strong>de</strong>m PC gelöscht. Nach und nach wur<strong>de</strong>n<br />
bestimmte Dokumente länger auf <strong>de</strong>m PC<br />
gespeichert, vor allem Formulare und Tabellenkalkulationen.<br />
Je<strong>de</strong>r Mitarbeiter hatte seinen eigenständigen<br />
PC und darauf sein eigenes<br />
Ordnungssystem. Das än<strong>de</strong>rte sich auch<br />
Die ersten PCs wur<strong>de</strong>n noch als<br />
bessere Schreibmaschinen genutzt.<br />
nicht grundlegend, als die PCs vernetzt<br />
wur<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r behielt o<strong>de</strong>r erhielt auf <strong>de</strong>m<br />
gemeinsamen Laufwerk einen »Persönlichen<br />
Ordner« 4 , in <strong>de</strong>m laufen<strong>de</strong> Dokumente<br />
aus <strong>de</strong>m eigenen Aufgabenbereich<br />
und Kopien von häufi g benötigten Formularen<br />
abgelegt wur<strong>de</strong>n. Nur ab und zu<br />
wur<strong>de</strong>n Dateien über diese Ordnergrenzen<br />
hinweg ausgetauscht. Dabei entstan<strong>de</strong>n<br />
ganz selbstverständlich Kopien, die<br />
Mehrfachablage <strong>de</strong>s gleichen Dokuments<br />
erschien völlig normal. Auf laufen<strong>de</strong> Dokumente<br />
konnte im Vertretungsfall nicht<br />
ohne Weiteres zugegriffen wer<strong>de</strong>n, Formularversionen<br />
in »Persönlichen Ordnern«<br />
waren oft veraltet, weil sie bei einer<br />
Überarbeitung <strong>de</strong>s Originalformulars<br />
nicht zeitnah aktualisiert wur<strong>de</strong>n. Vom<br />
Standpunkt <strong>de</strong>s Einzelnen aber hatte die<br />
»eigene« Dokumentensammlung große<br />
Vorteile: Sie stellte quasi die persönliche<br />
»Favoritenliste« dar.<br />
Eine Ausnahme stellten Projekte dar.<br />
Hier wur<strong>de</strong>n auch gemeinsam genutzte<br />
Ordner eingerichtet.<br />
So etablierte sich im EDV-Netz eine<br />
naturwüchsige Ordnung aus personenbe-<br />
<strong>www</strong>.<strong>B–u–B</strong>.<strong>de</strong> 215<br />
Lesesaal | BuB 215<br />
zogenen, projektbezogenen und zum Teil<br />
auch objektbezogenen Ordnern, ohne gemeinsame<br />
Systematik. Mit Einführung<br />
Dass Verän<strong>de</strong>rungen notwendig<br />
sind, war unstrittig.<br />
<strong>de</strong>r E-Mails wur<strong>de</strong> Papier schlagartig entwertet<br />
und die elektronischen Dokumente<br />
zum unbestritten führen<strong>de</strong>n Medium.<br />
Spätestens jetzt machte sich das latente<br />
Durcheinan<strong>de</strong>r im IT-Netz als ärgerliche<br />
Hür<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Zusammenarbeit bemerkbar.<br />
Dazu gehörten auch individuelle und<br />
teilweise kryptische Namensgebungen für<br />
Dokumente und Ordner. Für Vertretungen<br />
waren diese kaum nachvollziehbar, sie<br />
zogen immer wie<strong>de</strong>r langwierige Recherchen<br />
nach sich. Wenn Dokumente Namen<br />
wie »Brief_neu.doc« o<strong>de</strong>r »Statistik_aktu<br />
ell.xls« tragen, dann ist <strong>de</strong>r Inhalt aus <strong>de</strong>m<br />
Namen nicht ersichtlich. Die Folge: Das<br />
Dokument muss erst geöffnet wer<strong>de</strong>n, um<br />
festzustellen, ob es das gesuchte ist. Wenn<br />
ein Ordner »Lichtschranke« heißt, so ist<br />
dies ein weiteres Beispiel für eine spontane<br />
Bezeichnung, die nur <strong>de</strong>m Namensgeber<br />
verständlich ist: Gemeint sind nämlich<br />
keineswegs Dokumente zum technischen<br />
Gerät am Bibliothekseingang, son<strong>de</strong>rn<br />
Statistiken <strong>de</strong>r Besucherzahlen (welche allerdings<br />
mithilfe <strong>de</strong>r Lichtschranke erfasst<br />
wer<strong>de</strong>n).<br />
O<strong>de</strong>r die diversen Ordner »Fotos«:<br />
»Hier wur<strong>de</strong>n alle Fotos unter ›Fotoarchiv‹<br />
1 »Die vorangestellte Bezeichnung Hybrid- betont<br />
ein aus unterschiedlichen Arten […] zusammengesetztes<br />
Ganzes« (Wikipedia). Hier<br />
wird damit eine einheitliche Ordnung für Papier-<br />
und elektronische Dokumente bezeichnet.<br />
2 Stu<strong>de</strong>ntische Projektteilnehmerinnen aus<br />
<strong>de</strong>m 5. und 6. Semester <strong>de</strong>s Bachelor-Studiengangs<br />
waren: Ruth Ackermann, Indra<br />
Clemens, Linda Donalies, Martin Enßlen,<br />
Kerstin Fink, Kathrin Flohr, Sebastian Fösel,<br />
Christine Gärtner, Katrin Grünenwald,<br />
Maren Hil<strong>de</strong>nbrand, Sina Hofmann, Maria<br />
Holzmann, Simone Kauschka, Lena Kefer,<br />
Kira Weickel, Mareike Zimmermann.<br />
3 Verwen<strong>de</strong>t wird <strong>de</strong>r sogenannte Boorberg-<br />
Aktenplan.<br />
4 Mit »Persönlichen Ordnern« wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />
Stadtbibliothek Göppingen Ordner bezeichnet,<br />
in <strong>de</strong>nen unter <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>r Mitarbeiterin<br />
ausschließlich dienstliche Dokumente<br />
abgelegt sind, die zum jeweiligen Arbeitsgebiet<br />
gehören und <strong>de</strong>ren interne Struktur<br />
allein von <strong>de</strong>r jeweiligen »Eigentümerin« bestimmt<br />
wird. »Private Ordner« in <strong>de</strong>m Sinne,<br />
dass private Dokumente auch auf <strong>de</strong>m dienstlichen<br />
Rechner abgespeichert wer<strong>de</strong>n, waren<br />
nicht Gegenstand <strong>de</strong>s Projektes.