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Credit Suisse bulletin, 1999/04

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«Lebenszeit zerrinnt<br />

wie Sand in der Sanduhr<br />

Sekunden, Minuten, Tage, Jahre<br />

sie fliessen dahin,<br />

stetig Stund um Stund<br />

wir Menschen füllen<br />

die Sandkörner<br />

mit Liebe, Hass<br />

Ungeduld, Freiheit.<br />

Mit Schönheit und Freude<br />

Neid und Missgunst<br />

mit SCHMERZ<br />

Lebenszeit zerrinnt<br />

wie Sand in der Sanduhr<br />

wie habe ICH<br />

meine Sandkörner erfüllt ?»<br />

Dies eines von Katya Eggers Gedichten.<br />

Vor kurzem kam ein neuer Befund: Neue<br />

Knoten, neue Operationen, neue Chemotherapien.<br />

«Die Krankheit hat eigene<br />

Gesetze», sagt Katya Egger. «Ich dachte<br />

immer, ich schaffe es schon, bis alle Kinder<br />

auf eigenen Beinen stehen. Ich wollte<br />

nie eine Zeitdiagnose. Jetzt habe ich zum<br />

ersten Mal Panik, die Zeit reiche nicht<br />

mehr. Jean-Claude hat noch zwei Jahre,<br />

bis die Lehre fertig ist.»<br />

Katya Egger sitzt auf ihrem Balkon; die<br />

Teddybären in der Ecke blicken friedlich,<br />

und die Sonne scheint. Sie zündet sich<br />

eine Zigarette an. Wie eine Kranke sieht<br />

sie nicht aus: Sie ist eine Frau mit lebhaften<br />

Augen und punkig kurz geschnittenem<br />

Haar. Auf der Wiese vor dem Wohnblock<br />

hüpfen die Kaninchen.<br />

Was ist Hoffnung ? «Meinen Jüngsten<br />

noch bis zur Selbständigkeit begleiten zu<br />

können. Alles mit Würde bestehen zu können,<br />

das Lachen nicht zu verlieren dabei.<br />

Wenn eines der Kinder das Lachen verlernen<br />

würde, wie könnte ich all das durchstehen<br />

? Hoffnung auch, dass meine Kinder<br />

gesund bleiben.»<br />

Gerade erst hat Katya Egger ihren 48.<br />

Geburtstag gefeiert, zusammen mit den<br />

Freunden der Kinder. «Früher dachte ich,<br />

ich feiere meinen Fünfzigsten, als wäre<br />

ich hundert Jahre alt geworden. Nun tue<br />

ich das also bereits mit 48 Jahren.»<br />

Jetzt habe sie keine Angst mehr vor<br />

dem Sterben, sagt Katya Egger. Für das<br />

Danach gibt es keine Vorstellungen mehr.<br />

«Ich weiss nicht, ob es nachher weitergeht.<br />

Aber ich habe eine Vision: da zu sein für<br />

meine Kinder als Schutzengel.»<br />

MEILI DSCHEN<br />

21<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 4 |<strong>99</strong>

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